Kultur

Die zweite Geburt

von Bernhard Spring · 27. April 2011
placeholder

Am Steintor 23, am Rande der Halleschen Innenstadt, residiert der Mitteldeutsche Verlag, der heute sein 65-jähriges Bestehen feiert. Von außen ist dem Verlagssitz nichts anzusehen von seiner bewegten Vergangenheit. Stattdessen findet der gesamte Verlag Platz in der zweiten Etage des Hauses, zwischen Zahnarztpraxis und Physiotherapie.

Nur in der Bibliothek des mdv, die gleichzeitig als Konferenzzimmer dient, lässt sich die Patina des Verlags erahnen: Christa Wolfs "Der geteilte Himmel", Bruno Apitz' "Nackt unter Wölfen", Günter de Bruyns "Burdians Esel", Volker Brauns Hinze-Kunze-Roman - die Klassiker der DDR-Literatur, Meisterwerke des vergangenen Jahrhunderts, entstanden hier.

Niedergang mit der Privatisierung

Am 27. April 1946 wurde der Verlag als Privatgesellschaft gegründet, bevor das Land Sachsen-Anhalt im darauf folgenden Jahr zum alleinigen Gesellschafter aufstieg. Über Jahrzehnte hinweg prägte der mdv die ostdeutsche Literaturlandschaft, vor allem nachdem er sich im Zuge des Bitterfelder Wegs verstärkt der jungen Autoren angenommen hatte.

Der Niedergang kam mit der Privatisierung 1990. Das Interesse an ostdeutscher Literatur sank schlagartig, Autorenverträge und Bücher wurden zu Konkursmasse, deren Wert nicht mehr zu ermitteln war. Bis 1997 zog sich das Ringen um das junge Unternehmen hin, dann waren zumindest die Rechte am eigenen Namen und an den bisherigen Buchbeständen gesichert.

Erholung unter dem neuen Chef

Langsam erholte sich der Verlag, maßgeblich wegen seines neuen Chefs Roman Pliske, mit dessen Berufung 2004 auch die Unruhen an der Verlagsspitze endeten. Unter seiner Ägide kam frischer Wind in den mdv, der sich zunehmend ein breites Spektrum eröffnete. Mit opulenten Bildbänden, historischen Editionen, Reiseführern, Geschenkbuchreihen und fremdsprachiger Literatur erregte der Mitteldeutsche Verlag bundesweite Aufmerksamkeit und stieg mit einigen seiner Publikationen sogar in die SPIEGEL-Bestsellerliste ein.

Junge Autoren wie Kirsten Fuchs, Wladimir Kaminer und Clemens Meyer entdeckten den Verlag, der zwar nah an den gegenwärtigen und morgigen Schriftstellern sein möchte, aber dennoch traditionsbewusst auftritt und somit Jung und Alt zusammenführt. Inzwischen bringt es der mdv auf rund 70 Veröffentlichungen pro Jahr und ist damit einer der größten Verlage in Deutschlands Osten. Das zweite Leben hat begonnen. Herzlichen Glückwunsch!

Autor*in
Bernhard Spring

erhielt 2008 den Literaturpreis des Landes Sachsen-Anhalt, 2011 erschien sein erster Roman, „Folgen einer Landpartie“.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare