vorwärts.de: In der vergangenen Woche ist das zweite
"Al Film"-Festival zuende gegangen. Wie zufrieden sind Sie mit dem Verlauf?
Hakim El-Hachoumi: Ich bin sehr zufrieden. Es ist alles so gelaufen, wie wir es uns vorgestellt haben. Technische Probleme hat es nicht gegeben. Besonders freue ich mich aber über die
vielen Zuschauer, die die Zahl aus dem vergangenen Jahr deutlich übertreffen.
Was hat Sie bewogen, im vergangenen Jahr das erste arabische Filmfestival in Deutschland ins Leben zu rufen?
Die Idee hatte ich schon sehr früh. 2004 habe ich den
Verein "Freunde der arabischen Kinemathek" gegründet. Mein Ziel war schon damals, ein arabisches Filmfestival ins Leben zu rufen. Ich wollte arabischen
Filmen in Deutschland Raum verschaffen. Leider ist das arabische Kino hier ja noch immer recht unbekannt. Bevor das "Al Film"-Festival 2009 begann, haben wir schon viele einzelne Veranstaltungen
organisiert u.a. in Hannover, Saarbrücken, Bremen und auch schon Berlin. Daraus ist dann unser Festival entstanden.
Was wollten sie damit erreichen?
Viele Menschen denken, es gibt den arabischen Film, aber das stimmt nicht. Es gibt vielmehr die arabischen Filme. Mit dem Festival wollen wir zeigen, dass es viele verschiedene
Kinematographien und unterschiedliche Regisseure gibt, die ähnliche Themen sehr unterschiedlich behandeln. Ein Regisseur aus Marokko geht anders an ein Thema heran als ein Regisseur aus Syrien.
Diese Vielfalt wollen wir darstellen.
Woran liegt es, dass das arabische Kino in Deutschland weitgehend unbekannt ist?
Das ist eine schwierige Frage. Für die Filmverleiher zählt natürlich vor allem, dass möglichst viele Leute ins Kino gehen. Damit verdienen sie schließlich Geld. Bei arabischen Filmen gibt
es häufig die Angst, dass sie nicht sehr viele Zuschauer anziehen. Solange diese Angst bei den Verleihern besteht, ist es für arabische Filme sehr schwierig, aufgeführt zu werden. Hinzu kommt die
fehlende Erfahrung der deutschen Zuschauer mit arabischen Produktionen. Anders ist es bei Koproduktionen wie etwa dem Film "Paradise Now", der einen deutschen Koproduzenten aus Hamburg hatte.
Dieser Film hat es in die deutschen Kinos geschafft. Ich hoffe sehr, dass es in dieser Richtung weitergeht.
Was ist das Charakteristische an arabischen Filmen?
Die arabische Filmgeschichte ist - mit Ausnahme von Ägypten, das auf eine sehr lange Filmtradition zurückblickt - noch recht jung. Die meisten Länder haben erst in den 50er und 60er Jahren
angefangen, Filme zu produzieren. Jedes Land hat sich damals auf die Suche nach seinem eigenen Kino begeben. Entstanden ist so ein typisches tunesisches Kino, ein typisches marokkanisches Kino
oder ein typisches syrisches Kino. Wenn man sich die Themen ansieht, die in den Filmen behandelt werden, fallen einige Ähnlichkeiten auf. Liebe, Tod und Angst tauchen recht häufig auf. Eine
entscheidende Rolle spielen dabei die Regisseure, die unterschiedliche Themen sehr spezifisch behandeln. Nehmen wir das Beispiel Homosexualität: Das Thema existiert auch im arabischen Kino, wird
aber ganz anders behandelt als in Europa. In letzter Zeit werden aber mehr und mehr Tabus gebrochen.
Noch einmal zurück zum "Al Film"-Festival. Wonach haben Sie die Filme ausgesucht, die sie dem Publikum gezeigt haben?
Das wichtigste Kriterium ist für mich die Qualität. Ich hätte auch Filme auswählen können, die sich in Deutschland gut verkaufen, weil sie gewisse Klischees erfüllen. Das wollte ich aber
nicht. Dann war es uns wichtig, dass die Filme, die im Hauptprogramm laufen, nicht älter als drei Jahre sind. Die Filme im "Fokus" sollten die Themen Integration und Migration behandeln.
Insgesamt wollten wir zeigen, dass der arabische Raum sehr reich ist an guten Autorenfilmen.
Sie haben den Fokus Integration und Migration erwähnt. Er passt genau in die Debatte, die zurzeit in Deutschland geführt wird. War das geplant?
Nein, das war ein sehr passender Zufall. Wir legen das Thema für den Fokus des nächsten Festivals schon ein Jahr vorher fest. Wir wussten also schon 2009, dass Migration in diesem Jahr das
Fokus-Thema sein würde. Aber ich denke trotzdem, dass wir auf diese Weise eine gute Antwort auf die derzeitige Debatte geben - auch wenn das unbewusst war. Die Filme, die wir gezeigt haben,
beschäftigen sich mit dem Migrationsthema, allerdings mit dem Mittel des Kinos.
Wie bewerten Sie die Debatte selbst?
Ich finde es schade, dass Migration und Integration auf so negative Weise thematisiert werden. Was Sarrazin und andere gesagt haben, ist äußerst zerstörerisch und rassistisch. Viele
Menschen mit Migrationshintergrund ziehen sich nach den Äußerungen der vergangenen Wochen zurück und sagen: "Wir sind keine Deutschen." Es wurde keine konstruktive Debatte angestoßen, sondern nur
Vorurteile bedient. Das hilft niemandem weiter.
Noch ein paar Worte zu Ihnen. Sie haben erst Mathematik studiert und im Anschluss Regie. Wie kam das?
Schon während meiner Schulzeit und dann während des Mathematikstudiums habe ich Filme sehr gemocht und auch viel Theater gespielt. Darüber hat sich mein Interesse fürs Kino entwickelt. So
ist manchmal das Leben.
Haben Sie einen Lieblingsfilm?
Ja. "Der Spiegel" von Andrei Tarkowski. Ich mag die Bildsprache des Films, der mich förmlich in sich zieht. Ich sehe mir den Film immer wieder an und jedes Mal ist er ein Wunder. Für mich
ist es der beste Film überhaupt.
Wie sehen Sie die deutsche Filmlandschaft?
Es ist eine gute Zeit für das deutsche Kino. Aus meiner Sicht entstehen gute Filme immer dann, wenn es den Menschen schlecht geht. Sehen Sie sich etwa an, welche Themen in den letzten
Jahren in deutschen Filmen behandelt wurden. Das deutsche Kino setzt sich mit dem auseinander, was um es herum passiert. "Goodbye Lenin", "Halbe Treppe" oder "Auf der anderen Seite" sind wichtige
Filme, deren Regisseure ihre persönliche Betroffenheit in ihrem Werk umgesetzt haben. Das ganze Szenario hat sehr viel mit dem Regisseur zu tun. Das macht im Moment die Stärke des deutschen Films
aus.
Interview: Kai Doering
Hakim El-Hachoumi wurde in Marrakesch geboren und studierte in Marokko zunächst Mathematik. Danach ging er zum Regie-Studium nach Paris und St. Petersburg. Heute lebt und
arbeitet er als freier Filmschaffender und Dozent an der Freien Universität in Berlin.
2004 gründete Hakim El-Hachoumi die "Freunde der arabischen Kinemathek". Er ist Programmdirektor des
"Al Film"-Festivals.