Kultur

Die Verteidigung der Freiheit

von Franz Müntefering · 7. November 2013

Sein Geburtstag, der 7.11.1913, übrigens 41 Tage vor dem Willy Brandts, ist in diesen Wochen Anlass, Albert Camus wieder in den Feuilletons zu finden, manchmal sogar auf Seite 1 ganz vorne; ihm in Funk und Fernsehen zu begegnen oder in neuen Büchern über ihn und seine Lebensweise.

Das Rummelmäßige daran ist nicht wirklich lästig. So ist das eben mit der Priorität der Vordergründigkeit in unserer Zeit, haken wir das ab. Und vergessen wir darüber nicht: Es kann sich wirklich lohnen, Camus zu lesen, egal ob wieder, mal wieder oder zum ersten Mal.

Im Meer der Informationen und intellektuellen Angebote ist und bleibt er ein Leuchtturm. Camus erleichtert die Orientierung. Und das ist viel. Paddeln muss man natürlich selbst, sich entscheiden auch. Camus Texte sind keine Lehrbücher, bestenfalls Mutmacher, keine Muster, keine Programme, keine Handlungsanweisungen.

Es geht um das klare Nein zur Rechtfertigung bestimmter Mittel, die dem angeblich oder tatsächlich guten Zweck dienen. Kein Verbrechen ist erlaubt, auch nicht, wenn es dem Menschlichwerden der Welt von morgen dienlich sein könnte. Deshalb verurteilt Camus den Hitlerismus wie den Stalinismus, den Francoismus wie die Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes (übrigens anders als Sartre). Camus` Position war in den 60er/70er Jahren keineswegs Allgemeingut, weder was den Hitlerismus, noch was den Stalinismus angeht, von dem er auch als „Sozialismus der Galgen“ sprach. Seine Position war aber für unsereins begreifbar, zustimmungsfähig. Aber er differenzierte auch zwischen Revolution und Revolte. Und wo war nun der Punkt, von wo ab jedes Mittel dem guten Zweck dienlich sein darf? Oder gibt es den Punkt nicht?

Camus eindeutiges Nein zur Todesstrafe gehört übrigens auch zu diesem Gedankengang.

Es geht auch um das Spannungsverhältnis von Alleinsein und Gemeinsamkeit. Er beschreibt es an Jonas, dem „Künstler bei der Arbeit“. Antwort gibt es nicht, denn was Jonas auf der Leinewand im Verschlag seiner Wohnung hinterlässt, ist an der entscheidenden Stelle undeutlich. Steht da nun „solitaire“ oder „solidaire“?, fragen sich seine Familie, seine Bekannten und der Autor. Jedenfalls stabilisiert der Arzt den Schwächelnden und der lebt gerne so weiter.

„Der Fall“, eine seiner Erzählungen – die beste meine ich. Johannes Clamans, einstiger Staranwalt, Komödiant nennt er sich jetzt, erzählt dem imaginären Zuhörer – dem Leser – sein selbstverliebtes und selbstgerechtes Leben, hellsichtig und unsympathisch. Zum Beispiel vom Aufklatschen eines Körpers eines nachts an der Brücke einer Amsterdamer Gracht. War da jemand verzweifelt? Fiel er versehentlich hinein? Hätte Clamans umkehrend die Person überhaupt retten können? War alles ein akustischer Irrtum?

Die Entschuldigung, die dürftige, die Clamans immerhin und generell vorbringt, heißt: ich habe nie wahrhaft überzeugt glauben können, dass die Angelegenheiten der Menschen ernst zu nehmen seien. Dabei weiß er, dass die Freiheit, die ihm alles wert ist, ihren Wert verliert, wenn sie nicht die Freiheit des anderen ebenso ernst nimmt. Freiheit besteht in erster Linie nicht in Privilegien, sondern in Pflichten. Seine Gleichgültigkeiten ist seine Freiheit und seine Unfreiheit zugleich. Sie ist nicht die Lösung.

Erträglicher, fast sympathisch, wird das Problem, wenn Camus es mit Sisyphus erklärt, dem Verurteilten, der immer wieder den Stein den Berg hinauf rollen muss. Den Stein – der genau so immer wieder hinab rollt. Eine trostlose Situation? Camus meint, „wir müssen uns Sisyphus als einen glücklichen Menschen vorstellen“.

Info: Der Schriftsteller, Dramatiker und Journalist Albert Camus wurde 1913 im heutigen Algerien geboren. Mit 17 erkrankte er an Tuberkulose und musste mehrere Monate in einem südfranzösischen Sanatorium verbringen. 1932 begann er sein Studium der Philosophie in Algier, 1937 erschien sein erstes Werk „L’Envers et l’Endroit“ („Zwischen den Stühlen“). Im selben Jahr brach erneut seine Tuberkuloseerkrankung aus und hinderte ihn am Abschluss seines Staatsexamens. Aus gesundheitlichen Gründen für den Kriegsdienst abgelehnt, arbeitete er als Journalist und kritisierte die Zustände in der französischen Kolonie Algerien. 1942 veröffentlichte er den Roman „L’Etranger“ („Der Fremde“). 1944 wurde er Chefredakteur der nicht-kommunistischen Zeitung der Résistance „Le Combat“. Nach Kriegsende folgten Werke wie das Drama „Caligula“ und der Roman „La Peste“ („Die Pest“). 1957 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet, unter anderem für seine "bedeutende literarische Schöpfung, die mit klarsichtigem Ernst die Probleme des menschlichen Gewissens in unserer Zeit beleuchtet". Im Januar 1960 starb er im Alter von 47 Jahren bei einem Autounfall in Frankreich.

Autor*in
Franz Müntefering

war SPD-Parteivorsitzender, Vizekanzler und Bundesarbeitsminister.

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