Die verborgenen Sehnsüchte des Bürgertums
Für etliche Angehörige der ersten Nachkriegsgeneration Deutschlands und Österreichs ist der Keller ein heiliges Refugium. Gerhard Henschel setzte dem typischen Familienvater der 70er-Jahre, der für Stunden im „Hobbykeller“ verschwindet, in seinem „Jugendroman“ ein Denkmal. Allerdings vollzieht sich nicht nur, aber auch in der Alpenrepublik im Untergeschoss so mancher brutale Exzess, wie nicht zuletzt der Inzestfall von Amsdetten oder die Entführung Natascha Kampuschs. Was hat es mit diesem Reich, das in vielen Eigenheimen wie ein Juwel geschützt wird, auf sich? Was geht in den Menschen vor, wenn die Kellertür ins Schloss fällt? Was sagt der kollektive Hang zum abgeschotteten Idyll über den Zustand einer Gesellschaft aus?
Bürgerliche Zwischenwelten
Der international mehrfach ausgezeichnete Dokumentarfilmer Ulrich Seidl kennt sich mit den Zwischenwelten des Bürgertums, den Heimstätten verborgener Leidenschaften und Sehnsüchte bestens aus. Die Filme seiner fiktiven „Paradies“-Trilogie wurden bei den Filmfestspielen in Berlin, Cannes und Venedig uraufgeführt. 2012 lief der Teil „Liebe“ in den Kinos. Im Mittelpunkt steht eine österreichische Sex-Touristin, die sich in Kenia von jungen Männern verwöhnen lässt. Die Idee zu „Im Keller“ reicht weit hinter die anderen Filme zurück. Schon zur Vorbereitung seines Spielfilms „Hundstage“ (2001) über die Abgründe einer herausgeputzen Wiener Vorstadt stiefelte der 1952 geborene Regisseur auf der Suche nach Inspiration durch zahllose Reihenhaus-Katakomben.
Nach all der Vorbereitung ist die Ausbeute reichlich. „Im Keller“ serviert ein bizarres Panoptikum, wie es angesehene österreichische „Nestbeschmutzer“ wie Elfriede Jelinek oder Manfred Deix extremer kaum ausdenken könnten. Bei vielen der gezeigten Menschen fragt man sich allerdings, ob sie den Schritt vor die Kamera nachträglich bereut haben.
Faschismus und Pornografie
Der Rentner, der es sich mitsamt Ehefrau unter den ausgestopften Resten seiner Beute von zahllosen Jagdtouren in Afrika gemütlich macht und in unverständlichem Kauderwelsch von seiner Liebe zum Warzenschwein-Schnitzel schwärmt, zählt zu den vergleichsweise harmlosen Exemplaren. Ein Spiegeltrinker aus Niederösterreich lädt seine uniformierten Blasmusik-Kameraden allwöchentlich zum Proben, Saufen und Witze reißen in die wohnzimmerartige Kelleretage. Dort präsentiert er uns sein sein „schönstes Geschenk“ – ein großformatiges Gemälde von Adolf Hitler. Anschließend sinkt der polizeibekannte Nazi mit seinen Gesinnungsgenossen in die Sessel zwischen weiteren NS-Erinnerungsstücken. Soll man ob dieser Einfalt lachen oder weinen?
Auch der Sex kommt nicht zu kurz. So wohnen wir dem Vortrag einer Sadomasochistin über die Vorzüge von Schmerz und Erniedrigung bei. Staunend dürfte auch manch einen zurücklassen, wie ein Ehepaar seiner SM-Leidenschaft beim Hausputz nachgeht und wie die Machtspiele treppabwärts eine weitere Eskalationsstufe erreichen. An dieser Grenze zur Pornografie tut das Zusehen förmlich weh. Nicht zu vergessen ist auch der 70-jährige gescheiterte Opernsänger, der weitere Herren seines Alters im Schießen unterweist. Zwischen den Salven lehren sie mit Diskussionen über Islam und Zuwanderung gemäßigten Stammtischbesuchern das Fürchten.
Unausgelebte Machtansprüche
In langen und starren Einstellungen werden die Kellerfans zwar nicht bloßgestellt, aber deren Leidenschaften entblößt. „Niemand von uns ist gegen Fremdenfeindlichkeit gefeit, jeder von uns hat seine Ängste und Abgründe, seien es faschistoide Anlagen, unterdrückte Gewaltbereitschaft, unausgelebte Machtansprüche, Verdrängungen oder sexuelle Fantasien, die von der sogenannten Norm abweichen“, sagt Regisseur Seidl. Diese Erkenntnis ist allerdings nicht neu und so bleibt am Ende unklar, welchen Erkenntnisgewinn dieser Film liefern soll. Ist die einzige Gemeinsamkeit dieser Faschisten, SM-Anhänger und Waffennarren das geheime Reich im Keller?
Wie schonungslos Seidls Blick hinter die Kellerfenster und wie stimmig die Bildsprache mit verstörenden Distanzaufnahmen auch sein mögen, die einzelnen Episoden finden nicht recht zueinander. Letztendlich bestätigen sie Klischees. Dass manche Szene obendrein erfunden ist, macht den Gesamteindruck trotz formal strenger und gleichzeitig humoriger Erzählweise umso zwiespältiger. Einen erfreulichen Effekt zeigte der Film aber schon – zwei der Gefilmten im Nazi-Keller räumten nach dem Dreh ihren Gemeinderatsposten.
Info
Im Keller (Österreich 2014), ein Film von Ulrich Seidl, 85 Minuten
Ab sofort im Kino