Kultur

Die unbekannte Seite der Margarete Steffin

von Dagmar Günther · 15. April 2008

Hartmut Reiber, der 1950 in Arnstadt geborene Dramaturg, Publizist, Theater- und Rundfunkautor, ist ein ausgewiesener Kenner des Lebens der Margarete Steffin. Ihm ist es zu verdanken, dass ihr Theaterstück "Wenn er einen Engel hätte" 1978 endlich zur Uraufführung gelangte. Nun legt er im Ergebnis seines mehr als 30-jährigen Studiums Steffinschen Lebens und Wirkens eine Biographie der Mitarbeiterin und Geliebten Brechts vor. Diese erweitert das Wissen um die geschilderte Persönlichkeit beträchtlich. Außerdem gibt sie auch tieferen Einblick in Lebensumstände von Arbeiterkindern in den 20er Jahren und in die politische Verfasstheit einer proletarischen Familie jener Zeit.

Berliner Kindheit

Zwei Jahre nach dem Ersten Weltkrieg wird in Berlin immer noch gehungert. Die zwölfjährige Margarete fährt zum Aufpäppeln aufs Land, kommt aber dünn wie zuvor zurück. Beim Bauern hat sie wenig zu essen bekommen, musste hart arbeiten, wurde geschlagen und ausgelacht, als sie sich vor Verzweiflung das Leben nehmen wollte und dies nicht schaffte.

Mit einer Geschichte über die Beziehung zweier Schwestern für einen Wettbewerb schreibt sie sich aus ihrem Elend heraus. Sie gewinnt den ersten Preis. Auf dem Bauernhof trägt ihr das für die letzte Zeit dort Ansehen ein. Ihr Vater jedoch betrachtet - im Unterschied zu der sich darüber mit der Tochter freuenden Mutter - den Preis, das Buch "Don Quichotte", mit Misstrauen. Politisches Denken und Handeln hält er für wichtig in Arbeiterfamilien, nicht aber die Beschäftigung mit schöngeistiger Literatur.

Reiber beschreibt, wie das Kind Margarete Schule und - wiederum im Gegensatz zum Vater - christlichen Glauben schätzt. Als der Berliner Generalstreik vom 4.3.1919 (damit hatten die revoltierenden Arbeiter eine Umgestaltung der Reichswehr, den Abzug und die Anerkennung der Arbeiter- und Soldatenräte durchsetzen wollen) blutig niedergeschlagen wird, will Grete nur, dass die gewohnten Verhältnisse wieder einziehen, damit sie zur Schule gehen kann. Ihr Vater hingegen wechselt aus politischer Enttäuschung mehrfach die Partei: Der sozialdemokratische Reichswehrminister Gustav Noske hat die Freikorps den Streiks niederschlagen lassen. Die USPD, der er nach der SPD angehörte, ist aus seiner Sicht zu schwach. Die neu gegründete KPD sieht er nach der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts als kopflos und daher ebenfalls zu schwach an. Er landet schließlich bei der KAPD des Anarcho-Kommunisten Franz Jung.



Kommunistische Jugend


Das Mädchen Grete sieht den Vater kritisch, denn er tritt zu Hause autoritär auf und ist häufig betrunken. Seiner Forderung, der kommunistischen Jugendorganisation beizutreten, beugt sie sich jedoch. Dort gehört sie bald dem anarchistischen Teil an und - was für ihre Entwicklung wichtig ist - nimmt alle Möglichkeiten wahr, sich innerhalb der Arbeiterbewegung künstlerisch weiterzubilden. Bald hat sie solistische Auftritte in einem Sprechchor. In dieser Phase begegnet sie erstmals dem schon damals berühmten und von den meisten Mitgliedern des Sprechchors verehrten Dramatiker Brecht. Inzwischen überzeugte Klassenkämpferin sieht sie einen Bürgerlichen in ihm. Ganz zu den Ihrigen zählt sie ihn jedenfalls nicht.

Diese Sicht wandelt sich bald. Brecht ist von der begabten Schauspielerin angetan, Helene Weigel, die große Schauspielerin und Brecht-Ehefrau, ebenfalls. Grete Steffin erhält zunächst eine kleine Rolle, wird bald als kritische Mitarbeiterin geschätzt und benötigt und schließlich zu ihrer persönlichen Absicherung als Brechts Sekretärin angestellt. Grete hat da zwei Abtreibungen hinter sich. Der Freund aus der Chorbewegung, mit dem sie gern für immer zusammengeblieben wäre und der beide Male der Vater war, hat sich für eine andere entschieden. Da weiß sie schon, dass sie an Tuberkulose leidet. Ihr Leben wird nicht lang sein. An Brecht findet sie einen Partner, der ihr hilft, gegen die Krankheit anzuarbeiten, der ihr teure Sanatoriumsaufenthalte finanziert, aber auch viel Kummer bereitet. Er hat seine Frau, die Weigel, und seine beiden Kinder. Für sie wird er niemals völlig da sein, beansprucht sie aber trotzdem als Mitarbeiterin und Geliebte vollständig.



Wieder schreiben zur Selbsterhaltung


Das Klassenkämpferische bleibt wesentliche Triebkraft des Wirkens der Steffin. Brecht schätzt ihren unmittelbaren Zugriff auf die Wirklichkeit, den sie gerade auch nach der Ausreise aus Deutschland, zunächst zu einem Kuraufenthalt in der Sowjetunion, dann im Exil in Frankreich, Dänemark, später wieder der Sowjetunion immer wieder beweist. Sie ist überaus sprachbegabt, übersetzt literarische Texte, kommt schnell mit Menschen in Kontakt und kann dadurch für Brecht Brücken bauen. Mit Größen des literarischen Lebens der Emigration wie Walter Benjamin tauscht sie sich brieflich regelmäßig über Brechts wie über eigenes Leben und Schreiben aus. In meist durch die Krankheit erzwungenen Zeiten der Trennung von Brecht schreibt sie Gedichte, kleine Prosastücke und das Theaterstück für Kinder "Wenn er einen Engel hätte". Sonette, die Brecht und sie in Zeiten der Trennung wechseln, helfen ihr diese zu bestehen, ebenso die eigenen literarischen Texte.

In ihren Texten setzt sie sich mit ihrem Kindheitsglauben wie mit den sie bedrängenden Konflikten ihrer Gegenwart auseinander, stellt dies in den Kontext zueinander. Anerkennung innerhalb der literarischen Szene der Emigration findet sie damit außerhalb des Brechtschen Umkreises nur schwer. Als Ursachen werden im Buch genannt: die Möglichkeit sie zu kritisieren, um den schwer anzugreifenden Brecht zu treffen, und die Tatsache, dass Hitler ein Religionsverächter ist, man sich deshalb in dieser Zeit nicht mit Religion auseinandersetzen mag, nicht einmal in einem hintersinnig humorvollen Stück für Kinder.

Es ist ein großer Schock für sie, als sie zu ahnen beginnt, dass die UdSSR nicht dem Idealbild entspricht, das sie sich nach ihren ersten Aufenthalten gemacht hat. Dennoch wird dieses Land ihr letzter Zufluchtsort. Nun gemeinsam mit der Familie Brecht von Dänemark dorthin geflohen, will sie mit diesen nach Mexiko und dann in die USA weiterreisen. Ein halbes Jahr lang wartet sie auf ihr Visum. Dann drängt sie Brecht, nicht weiter bei ihr auszuharren. Sie will nicht dafür verantwortlich sein, dass er und die Seinigen - alle im Besitz gültiger Visa - in der Sowjetunion vom Krieg überrascht werden.

Welch eine Fundgrube das Leben dieser Grete Steffin (Margarete wurde sie kaum genannt) für Brecht gewesen sein muss, ahnt man schon bei der Schilderung der Kindheit und der frühen literarischen Anfänge. Der Autor hat sich nicht verleiten lassen, die Chronologie der Ereignisse zu durchbrechen und gerade das macht das Buch interessant. Man weiß ja, wohin die Reise geht und stellt die Querverbindungen zum Späteren selbst her.

Dorle Gelbhaar

Hartmut Reiber "Grüß den Brecht. Das Leben der Margarete Steffin", Eulenspiegel Verlag Berlin 2008, 24,90 Euro, ISBN 976-3-359-02202-2

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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