Unternehmensgeschichte ist in der Regel kein Thema, das zum "Schmökern" einlädt. Anders bei Reemtsma: Dem Historiker Lindner geht es in seinem Buch nicht nur um den wirtschaftlichen Aufstieg
des Tabakkonzerns. Seine Unternehmensgeschichte ist zugleich eine Familiengeschichte.
Drei Generationen, drei Geschichten
Was Lindners Buch so spannend macht, ist der unterschiedliche Umgang der Reemtsma-Generationen mit wirtschaftlichem Erfolg und der Verantwortung, die sich daraus ergibt. "Stammvater" Bernhard
Reemtsma ist die Figur, die am Anfang der meisten erfolgreichen Unternehmerfamilien steht: die mit dem richtigen Riecher.
1910 steigt er vom Zigarren- auf dem Zigaretten-Handel um - damals ein noch kaum bekanntes Tabakprodukt. Der Durchbruch kommt im Ersten Weltkrieg: In den Schützengräben tritt zumindest die
Zigarette ihren "Siegeszug" an.
Typische Unternehmerfiguren
Bernhard Reemtsmas Söhne entwickelten die Hamburger Firma schließlich zum erfolgreichsten deutschen Konzern der Branche. In Hermann, Philipp und Alwin - bei der Familie schlicht "Eins", "Zwei
und "Drei" genannt - entdeckt Lindner die typischen Unternehmerfiguren der 20er und 30er Jahre: mit großem Engagement fürs Geschäft, einer gehörigen Portion Pragmatismus und moralisch nicht immer
über jeden Zweifel erhaben.
"Die Drei" verstanden es, die Unwägbarkeiten der Vorkriegsjahrzehnte zu ihrem Vorteil zu nutzen. In Zeiten der Inflation schafften sie es, krisengeschüttelte Konkurrenten aufzukaufen und die
deutsche Zigarettenindustrie weitgehend in ihrem Unternehmen zu konzentrieren.
Die Zeit des Nationalsozialismus überstanden sie mit einem Balance-Akt. Die drei Brüder unterstützten einerseits ins Ausland geflohene jüdische Teilhaber des Unternehmens nach Kräften,
sicherten sich andererseits ihre Unabhängigkeit durch Millionenspenden an die Nationalsozialisten, vor allem Hermann Göring. Lindner zeichnet ein ambivalentes Bild der Unternehmer zwischen 1933 und
1945.
Forschung statt Geschäft
Prominentester Vertreter der dritten Reemtsma-Generation ist unbestritten Jan Philipp Reemtsma - kein Unternehmertyp, sondern Intellektueller, Forscher und Mäzen. Anfang der 80er Jahre
verkauft er seine Firmenbeteiligungen, gründet das Hamburger Institut für Sozialforschung. Dessen politische Ausrichtung verbindet kaum noch etwas mit der Generation seines Vaters. Das Institut
solle "marxistische, psycho-analytische, feministische Denktraditionen" erforschen, sagt Jan Philipp Reemtsma damals. Die Beschreibung seiner persönlichen Geschichte nimmt in Lindners Buch viel
Raum ein: von seiner Entführung Mitte der 90er Jahre bis zur Diskussion um die von ihm organisierte "Wehrmachtsausstellung".
Tief vorgedrungen
Lindner ist Historiker, das merkt man seinem Buch an. An machen Stellen hakt es Ereignisse der Familien- und Unternehmensgeschichte chronologisch ab. Das tut seinem Reiz aber keinen Abbruch.
Viele Querverweise machen die Familiengeschichte immer wieder zu einer Gesellschaftsgeschichte des vergangenen Jahrhunderts. Tief dringt Lindner bei seinen Recherchen vor. Das Ergebnis: Das Buch
ist gespickt mit Anekdoten und kleinen Fundstücken, die einem die Familie und deren Beziehung zum Produkt "Tabak" näher bringen. So etwa die Abbildung einer Zigarettenschachtel, ein Sonderdruck für
die Gäste der Tauf-Feier eines Reemtsma-Sprösslings: Den Deckel ziert das Bild einer Kinderwiege.
Timm Schneider
Lindner, Erik: Die Reemtsmas. Geschichte einer deutschen Unternehmerfamilie, Hoffmann und Campe Verlag, Juni 2007, 592 Seiten, 25 Euro, ISBN 978-3-455-09563-0
0
Kommentare
Noch keine Kommentare