2002 konstatierte Joachim Raschke: "Wir wissen fast nichts darüber, was strategische Politikakteure in strategischer Hinsicht wirklich tun und denken." Zusammen mit Ralf Tils von der
Universität Lüneburg hat der Hamburger Politologe sich der Thematik nun umfassend angenommen. Sie haben eine wissenschaftliche Strategieanalyse erarbeitet, die sich an zwei Adressaten wendet: an
die Politikwissenschaft, um einen ersten Grundstock politologischer Strategieforschung zu legen, und an die Politik mit dem Ziel einer Optimierung der Praxis.
Genauer Plan des eigenen Handelns
Aber was ist nun politische Strategie? Raschke und Tils definieren diese als "erfolgsorientierte Konstrukte, die auf situationsübergreifenden Ziel-Mittel-Umwelt-Kalkulationen beruhen." Ein
genauer Plan des eigenen Handelns also, der die Ausgangslage und die eigenen Ziele ebenso berücksichtigt wie die aus beiden abgeleiten Handlungsanweisungen und die sich stets ändernde Umwelt, die
auf die eigene Aktion einwirkt. Politische Strategie ist dabei stets ein dynamischer Grundprozess, ein Dreiklang aus Strategiefähigkeit, Strategiebildung und strategischer Steuerung.
Wem dieses präzise, aber auch sehr kleinteilige Theoriegerüst der Autoren zu ermüdend ist, der wird abschließend mit einer umfangreichen Fallstudie zum Strategy-Making der SPD zwischen 1958
und 2005 mehr als entschädigt. Von Herbert Wehner bis Gerhard Schröder wird die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie strategisch auf Herz und Nieren geprüft. In Godesberg begann die SPD
demnach mit der Entwicklung kollektiver Strategiefähigkeit, die sich erst Anfang der 1980er Jahre erschöpfte, um dann 1995 wieder in Angriff genommen zu werden - mit wechselhaftem Erfolg.
Können oder Zufall?
Insgesamt, so lässt sich sagen, wird an der "Grundlegung" von Raschke und Tils zukünftig niemand vorbeikommen, der sich mit Politik und Strategie beschäftigt. Ob allerdings politische
Praktiker die Ratschläge von Raschke und Tils annehmen werden, erscheint fraglich. Das 598-Seiten-Werk ist schon vom Umfang her keine leichte Kost.
Und trotz der satten Empirie bleibt unklar, inwieweit es in der aktiven Politik wirklich solche Akteure gibt, die zielorientiert und konsequent Strategien anwenden. Man ist eher geneigt,
Joschka Fischer Recht zu geben, der in seiner Autobiographie ausführt: "Vieles, was im Nachhinein als großartiges Kalkül oder eine wohldurchdachte Strategie erscheint oder von den Akteuren im
Nachgang nur allzu oft dazu erklärt wird, ist in Wirklichkeit dem Zufall oder schlicht Glück zu verdanken und weniger dem vermeintlichem Genius der Handelnden."
Robin Rüsenberg
Joachim Raschke/Ralf Tils, Politische Strategie. Eine Grundlegung, Wiesbaden 2007, Verlag für Sozialwissenschaften, 585 S., 39,90 Euro, ISBN 978-3-531-14956-1
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