Kultur

„Die Spur“: Jagd auf die Zerstörer des Paradieses

Viel zu schön, um wahr zu sein: Das bildgewaltige Drama „Die Spur“ erzählt von moralischen Abgründen einer traditionsbewussten Landbevölkerung - und vom verzweifelten Kampf einer Außenseiterin.
von ohne Autor · 5. Januar 2018
Die Spur
Die Spur

Im rasanten Vogelflug gleitet die Kamera durch bewaldete Hügel in der Dämmerung. Wie im Märchen muten die polnischen Sudeten an, doch märchenhaft ist an diesem Film nur wenig. Die neueste Kinoarbeit von Agnieszka Holland, der ihrem Geburtsland längst entwachsenen Grande Dame des polnischen Kinos, kreist um Machtgeilheit, Engstirnigkeit und Rebellion. All das gibt es natürlich auch im Märchen, doch „Die Spur“ verortet diese Faktoren, die ein Provinzleben in seiner ganzen Rücksichtslosigkeit illustrieren, im polnischen Alltag. Genauer gesagt: im Süden des Landes, an der Grenze zu Tschechien. Ein Landstrich, wo Katholizismus, Patriarchalismus und Nationalismus schon lange eine unheilvolle Trias bilden. Willkommen im Reich der PiS!

Belächelte Außenseiterin

Eine einzige Szene ruft diesen Zustand besonders eindringlich in Erinnerung. „Gott hat die Tiere dem Menschen untergeordnet“, herrscht der Priester die unglückliche Janina an. „So ist die Weltordnung.“ Janina, die sich lieber mit ihrem Nachnamen Duszejko rufen lässt, blickt wie versteinert. Kann sie das Gesagte nicht fassen oder fühlt sie sich lediglich in dem, was sie von den lokalen Eliten hält, bestätigt? Die ebenso kratzbürstige wie liebenswürdige Dame reiferen Alters wollte dem ehrwürdigen Geistlichen ihr Leid darüber klagen, dass man(n) in dieser idyllischen Gegend immer wieder Wildtiere erlegt. Der überzeugten Vegetarierin, die mit zwei Hunden in einem einsamen Häuschen am Wald lebt, ist diese Tradition ein Graus. Auch sonst ist die pensionierte Brückenbauingenieurin alles andere als angepasst und hält mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg. Manche belächeln die Außenseiterin, andere hassen sie.

Mit ihren Tieren könnte sie das perfekte Paradies haben, wären nicht die vielen Jagdgebiete rund um ihr Grundstück. Ständig krachen Schüsse, liegen Kadaver im Unterholz. Auf der nahen Fuchsfarm leiden die Vierbeiner Höllenqualen. Eines Tages verschwinden ihre geliebten Hündinnen: eine Drohung gegenüber Duszejko? Kurz darauf beginnt eine Serie von rätselhaften Morden an hiesigen Jagdgesellen, größtenteils korrupte Honoratioren der Gemeinde. Alles scheint zunächst auf die – viele sehen sie so – schrullige Alte mit dem Fimmel für Tierschutz und Astrologie zu deuten. Merkwürdigerweise finden sich aber Tierspuren an allen Tatorten. Derweil beginnt die resolute Ruheständlerin selbst nachzuforschen. Dabei findet sie Verbündete, von denen jeder seine eigene Rechnung mit dem gesellschaftlichen Mainstream und dessen Schattenseiten offen hat.

Zwischen allen Stühlen

„Die Spur“, gemäß den Jahres- und Jagdzeiten in vier Kapitel unterteilt, beeindruckt durch Wucht und Leichtigkeit. Imposante Landschaftsaufnahmen verschmelzen mit einem ebenso eindringlichen Realismus zu einem einzigen Bildersog. Duszejko alias Agnieszka Mandat trifft immer wieder auf Machtmenschen, die undurchsichtig wirken, sie aber deutlich spüren lassen, was sie von ihr halten: nämlich nichts. Das Drehbuch zeigt die Protagonistin aber auch in hoffnungsvollem, sogar komödiantischem Licht. Doch auch dann ebbt die Spannung kaum ab.

Dieses Wechselspiel zwischen hell und düster, aber nicht zuletzt Mandats extrem facettenreiches Spiel machen es zu einer Lust, Duszejko bis zum Schluss auf ihrer Spurensuche zu begleiten. So wie sie sich dem Konformismus verweigert, sitzt auch der Film zwischen allen Stühlen: Öko-Thriller trifft auf Mystery, schwarze Komödie und Sozialdrama. Vielleicht ist diese offene Form genau der richtige Weg, um eine deutliche Position in einer ästhetisch anspruchsvollen und vor allem überraschenden Erzählung zu verpacken. Holland, die für „Die Spur“ bei der Berlinale den Silbernen Bären (Alfred-Bauer-Preis) bekam, will diese Arbeit als Zeichen gegen Populismus, selbstsüchtige Eliten sowie Machismo verstanden wissen. Nicht nur, aber auch in Polen. Dass sie dort für ihren Film, obschon dieser als polnischer Oscar-Kandidat ins Rennen geht, angefeindet wurde, dürfte sie darin bestärken, auch weiterhin den Finger in die Wunde zu legen.

„Die Spur“ (Polen/Deutschland/Tschechien/Schweden/Slowakei, 2017), Regie: Agnieszka Holland in Zusammenarbeit mit Kasia Adamik, Drehbuch: Agnieszka Holland und Olga Tokarczuk, 128 Minuten. Jetzt im Kino.

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