Die Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin zählen zu den wenigen historischen Sportereignissen, deren monumentale Bilder uns auch heute noch präsent sind. Den Nationalsozialisten gelang mit
der perfekten Inszenierung des sportlichen Großereignisses ein nie zuvor gesehenes Propaganda-Spektakel, nicht zuletzt dank der Verfilmung der Spiele durch Leni Riefenstahl. Die idealisierte
Darstellung von Kraft, Eleganz und NS-Machtdemonstration heizen auch heute noch, mehr als 70 Jahre später, die Kontroversen um ihre Personen an.
Weit weniger bekannt als die umstrittene Regisseurin sind die Opfer der Propaganda-Maschinerie. Zu ihnen gehören die Sportlerinnen Gretel Bergmann und Dora Ratjen. Der Film "Berlin `36"
erzählt ihre tragische Geschichte. Das Buch zum Film ist erschienen im Verlag für Berlin-Brandenburg.
Hitlers "Alibijüdin"
Gretel Bergmann und Dora Ratjen sind Konkurrentinnen, Teamkolleginnen und Zimmergenossinnen im Olympischen Trainingslager. Beide träumen von einer Medaille in Berlin. Jedoch nicht nur ihr
sportlicher Ehrgeiz eint die Frauen: Beide sind sie auf ihre Weise Außenseiterinnen. Die Jüdin Gretel Bergmann, gespielt von Karoline Herfurth, ist die überragende Hochspringerin ihrer Zeit.
Jedoch nicht aufgrund ihrer sportlichen Leistungen wird sie in den deutschen Olympiakader aufgenommen. Vielmehr dient sie den Nazis als "Alibijüdin", als lebender Beweis der vermeintlichen
Toleranz des NS-Regimes. Ein Boykott der Spiele seitens der USA soll so verhindert werden. Gretel Bergmann beschreibt rückblickend ihre Rolle: "Ich war Bauer im internationalen Schachspiel, die
Trumpfkarte bei ihrem betrügerischen Poker."
Gretel Bergmanns größte Konkurrentin ist Dora Ratjen, die im Film Marie Ketteler heißt. Auch sie ist eine Ausnahmesportlerin. Und auch sie wird instrumentalisiert. Dora wird ins Rennen
geschickt, um zu verhindern, dass eine Jüdin die Goldmedaille gewinnt. Das pikante Detail: Dora ist eigentlich ein Mann. Geboren als Junge und aufgewachsen als Mädchen. Als Frau nimmt Ratjen 1936
am olympischen Hochsprungwettbewerb teil. Entdeckt wird der Schwindel erst nach den Europameisterschaften in Wien 1938.
Das Leben danach
Nach seiner Enttarnung lebte Ratjen zurückgezogen, wählte das innere Exil. Nur ein einziges Mal hat er sich öffentlich zu den Vorgängen geäußert. In einem Interview gab er 1957 an, als
Junge geboren und auf den Namen Hermann getauft worden zu sein. In der Hitlerjugend sei man dann auf sein sportliches Talent aufmerksam geworden. Er sei von den Nationalsozialisten gezwungen
worden, so Ratjen, fortan als Mädchen zu leben. Die Glaubwürdigkeit seiner Aussage muss dahingestellt bleiben. Ratjen starb 2008 im Alter von 89 Jahren.
Gretel Bergmann schwor nach den Spielen, weder die deutsche Sprache jemals wieder zu sprechen, noch ihr Herkunftsland wieder zu betreten - Vorsätze, mit denen sie erst im hohen Alter brach.
Als Margaret Lambert lebt die heute 95-Jährige mit ihrem Mann in New York. 2004 scherzte sie: "Wenn ein grauer, rostiger alter Wagen mit einer grauen, rostigen alten Lady vorfährt, das bin ich."
Doch wenn wieder einmal die Bilder von Hitlers Nazi-Olympiade auf dem Bildschirm flackern, verfliegt ihre Fröhlichkeit: "I have neither forgotten nor forgiven what was done to me then. I had the
ability to compete, with a real chance to win a medal in the Olympic Games. I was cheated out of the thrill of a lifetime simply because I was born as a Jew."
Am kommenden Donnerstag zeigt der Freundeskreis Willy-Brandt-Haus in Berlin den Film "Berlin `36". Start ist um 19:30 Uhr.
Das
Buch zum Film ist erschienen im Verlag Berlin Brandenburg, 14,90 Euro, ISBN: 978-3-86650-037-2
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