Kultur

Die SPD und das Grundgesetz

von Thomas Hörber · 24. Oktober 2008
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Politische Führer oder solche, die es werden wollten

Kurt Schumacher war in der unmittelbaren Nachkriegszeit der bei weitem bekannteste deutsche Politiker. Gezeichnet durch Krieg und Widerstand gegen die Nazis, war er als Vorsitzender der einzigen Partei, die gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt hatte, der wahrscheinlichste Kandidat für das Kanzleramt. Die moralische Autorität seiner Person und seiner Partei sollte aber letzten Endes nicht zum gewünschten Erfolg führen. Dörr stellt gut dar, dass eine fast unglaubliche Mischung der SPD die erste Bundestagswahl verlor. Da waren zum einen die so schwer fassbare und doch nicht zu verleugnende Arbeiterarroganz, die Sturheit des Underdogs, der nicht mehr gewinnen muss, weil er vor der Geschichte schon alles bewie-sen hat und zum anderen aus Schumachers autokratischen Führungsstil, der keine anderen Götter neben ihm zuließ und offensichtliche politische Talente wie Carlo Schmid in seinen Schatten stellte.

All dies wäre nicht so schlimm gewesen, hätte das konservative Lager keinen Adenauer gehabt. Glaubhaft belegt Dörr die permanente und umfassende Unterschätzung Adenauers von Seiten der SPD-Führung - sei es wegen seines Alters, seiner im Vergleich zu Schumacher weniger ausgeprägten moralischen Autorität, der mangelnden Einheit der CDU oder wegen der vielen Widersacher in seiner eigenen Partei. Adenauer hingegen nutzte seine Position als Vorsitzender des Parlamentarischen Rates äußerst effektiv, um sich für das Kanzleramt und die CDU für den anstehenden Bundestagswahlkampf zu positionieren.

Kontinuität oder Bruch mit der Vergangenheit

Dörr bemerkt, dass der Stolz der SPD auf ihre Vergangenheit keineswegs ein Vorteil für ihre Rolle in der Nachkriegszeit war. Wo das konservative Lager in der Nachkriegszeit klar mit seiner Vergangenheit brechen musste, galt bei der SPD weiterhin das Heidelberger Programm von 1925. Wo die CDU als erste konfessionsübergreifende Partei der deutschen Geschichte die Einheit christlich geprägte Wählerschichten für Demokratie gegen Diktatur schuf, war die SPD immer noch eine Partei des Klassenkampfes. Sie sprach noch von Enteignung, als das Wirtschaftswunder längst Realität war und verbaute sich den Weg zu einer Volkspartei, die sie erst mit den Reformen von Bad Godesberg 1959 werden sollte. Zusammenfassend stellt Dörr fest, dass die SPD in der Weimarer Zeit verharrte, nicht ausreichend über ihre Schwä-chen in dieser Zeit reflektierte und sich nur unzureichend an die veränderten Bedingungen der Nachkriegszeit anpasste.

Geradlinigkeit oder innerparteiliche Diktatur

Dörr geht hart ins Gericht mit Kurt Schumacher und der Nachkriegs-SPD. In Teilen war es nicht einfach für einen Sozialdemokraten wie mich, in einer Rezension für den "vorwärts" eine derartige Kritik zu akzeptieren, auch wenn dem Historiker in mir so manches einleuchte-te. Dennoch kann es vor diesem Hintergrund nicht ausbleiben, hier für Schumacher und die SPD eine Lanze zu brechen.

Schumachers Geradlinigkeit war in manchen Bereichen ebenso weitsichtig wie Adenauers Westpolitik. Man denke nur an die kompromisslose Abgrenzung zur KPD und die Ablehnung der Zwangsvereinigung der beiden Parteien im Osten. Diese Geradlinigkeit, die in der SPD zugegebener Weise manchmal zur Prinzipienreiterei degenerierte und so manchen Ge-nossen in die Verzweiflung getrieben hat, ist ein elementarer Charakterzug der SPD.

Schumacher verkörperte die Unangepasstheit der Partei, die sie in ihrem Kern nicht nach kurzfristiger Wählergunst oder taktischen Vorteilen suchen, sondern die Verantwortung für das Ganze im Blick haben lässt. Und so waren es keine leeren Worthülsen, wenn Schumacher von der Verantwortung für die Arbeiter, von der Rettung Deutschlands oder von einem besse-ren Europa sprach. Nein, diese Inhalte verkörperten die Werte der SPD. Die daraus resultie-rende Politik wurde als wirkliche Alternative zur Fortführung einer konservativ-bürgerlichen Politik gesehen, deren Scheitern durch den Zweiten Weltkrieg und Hitler bereits bewiesen war. Schumacher und die SPD appellierten hier an eine weit tiefer liegende Logik als sie übli-cherweise in der Alltagspolitik behandelt wird. Die Dynamik einer Zeitenwende und eines kompletten Neuanfangs im Nachkriegsdeutschland sollten nicht unterschätzt werden. Die SPD sah sich als deren Verkörperung und war durchaus überrascht, dass die bundesrepublika-nischen Wähler der SPD dafür kein Mandat gaben.

Prinzipientreuer Trotz oder Bekenntnis zur Demokratie

Ebenso prinzipientreu führte Schumacher die SPD daher in die Opposition, auch wenn ein gewisser Trotz des zurückgewiesenen Arbeiterstolzes wohl nicht zu verneinen ist. Aber diese Konsequenz verkörperte die SPD genauso in ihrem unumstößlichen Bekenntnis zur Demokra-tie und deren Akzeptanz des Wählerwillens - bei Weitem nicht selbstverständlich vor dem Hintergrund deutscher Geschichte und auch nicht für alle Parteien. Man brauchte nur in den Osten zu schauen, was der Verrat an Freiheit und Demokratie für die Menschen bedeutete. Dies mag ein Grund gewesen sein, warum die SPD sich so schwer tat mit den Realitäten der Nachkriegszeit.

Insbesondere die Teilung Deutschlands widersprach jeglicher Logik von stabiler Sicherheit oder einer verlässlichen Basis für Wohlstand. Dörr folgt hier Hans-Peter Schwarz, der Ade-nauer die Akzeptanz der deutschen Teilung unterstellt, wodurch dieser als der pragmatischere Politiker der deutschen Nachkriegszeit erscheint. Diese Einschätzung ist aus heutiger Sicht korrekt, aber nur mit dem heutigen Wissen über diese Zeit. 1948/49 war die frühe Vereini-gung Deutschlands immer noch eine realistische Perspektive und mit Sicherheit ein Staatszie,l das der Parlamentarische Rat im Grundgesetz reflektiert sehen wollte. Die Wortführerschaft der SPD für die Wiedervereinigung verkörpert demzufolge mehr den Konsens aller demokra-tischen Parteien im Parlamentarischen Rat, als eine anachronistische Position der SPD.

Resumé

Zusammenfassend ist dies ein kurzer und hinreichend präziser Abriss zu einem nicht ganz einfachen Thema der deutschen Nachkriegsgeschichte. Dörr schreibt für ein breites Publikum, ohne den akademischen Anspruch von solider Forschungsarbeit aufzugeben. Deshalb sollte das Buch auch für interessierte Laien von Interesse sein. Vollblutakademiker hätten bestimmt mehr Neues erwartet, aber als Kompromiss zwischen beiden ist dies ein durchaus gelungenes Buch.

Thomas Hoerber
Ecole Supérieure des Sciences Commerciales d'Angers (ESSCA)


Nikolas Dörr, Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands im Parlamentarischen Rat 1948/1949 - eine Betrachtung der SPD in den Grundgesetzberatungen vor dem Hintergrund der ersten Bundestagswahl 1949, WVB, Berlin, 2007, S. 138, ISBN 978-3-86573-265-1, € 17,90

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