Damit sind wir bei einem Grundanliegen dieser "SDS-Story". Geht man vom SDS als Zentrum der außerparlamentarischen Oppositionsbewegung um 1967/68 aus, liegt es nahe, eine SPD-konforme Periode
im ersten Jahrzehnt von der Zeit danach abzugrenzen. Nach dem gegen den SDS gerichteten Unvereinbarkeitsbeschluss des SPD-Parteivorstands 1961 ging der SDS Mitte der 60er Jahre mit anderen
Studentenverbänden daran, "an den seit 100 Jahren von rechts beherrschten Universitäten in Deutschland eine Tendenzwende nach links durchzusetzen." Es sind die Jahre 1964-67, die interessantesten
seiner Geschichte, als er als Vorbote von etwas noch nicht voll Sichtbarem fungierte.
Völlig zu Recht unterstreichen die Autoren, dass die linkssozialistisch-antiautoritäre Mehrheitsströmung von keiner Sympathie für das Ostblock-System erfüllt war. Was sie ebenfalls
ansprechen,wäre hingegen noch stärker zu betonen: Die Fehldeutung der von der Mao-Fraktion in der KP Chinas inszenierten "Kulturrevolution" ab 1966 als eine antibürokratische, emanzipatorische
Massenbewegung von unten. Mit dieser Uminterpretation bereitete gerade der Berliner SDS den Boden für die "marxistisch-leninistische" Regression großer Teile der APO seit 1969 in Gestalt diverser
maoistisch-stalinistischer Kaderorganisationen.
Das lässt sich verallgemeinern: Der eskalierende Antiautoritarismus der SDS-Mehrheit schlug an einem bestimmten Punkt um in krudesten Organisationsfetischismus, Dogmatismus und
Sektierertum, bei einer sehr kleinen Gruppe darüber hinaus in den Wahnsinn des "bewaffneten Kampfes" - und das ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als der politisch-gesellschaftliche Status quo in der
Bundesrepublik tatsächlich in Bewegung gekommen war.
Tilman P. Fichter / Siegward Lönnendonker
Kleine Geschichte des SDS
Der Sozialistische Deutsche Studentenbund von Helmut Schmidt bis Rudi Dutschke,
4. überarbeitete und ergänzte Auflage, Klartext Verlag Essen 2007,
256 Seiten, 15,95 Euro,
ISBN 978-3898618250
Peter Brandt