Kultur

Die schwarze Liste als „Ist“-Zustand

von Wiebke Porombka · 14. September 2010
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Zwölf Jahre sind eine kurze Zeit für den Literaturbetrieb. Das ist - wenn man es so nennen darf - das positive Resümee, das der Germanist und Mitarbeiter der Abteilung Bildung und Forschung der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Christian Adam, in seiner Studie "Lesen unter Hitler. Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich" ziehen kann. Für die Herausbildung einer literarischen Strömung oder bedeutsamer Autoren haben diese Jahre nicht gereicht.

Wenn Adam untersucht, welche Bücher während der nationalsozialistischen Herrschaft gelesen wurden, kommt er zu dem Schluss, dass neben den Taschenromanen vor allem die ebenfalls relativ schnell zu schreibenden populären Sachbücher Konjunktur hatten. Bei den meistverkauften Belletristik-Autoren hingegen, liest man bei Adam, handelt es sich entweder um solche, deren Niveau allenfalls dazu ausreichte, während der Weimarer Republik in der zweiten Reihe zu stehen und die nun die Gunst der Stunde zu nutzen wussten. Oder aber um solche, denen zumindest eine gewisse Distanz zum politischen Geschehen zugestanden werden kann.

"Schwarze Listen" und tatsächliche Lesegewohnheiten

Es ist zwar keine ganz neue Erkenntnis, dass es eher die Unterhaltungsliteratur als die offene "Propagandaliteratur" war, die besonders während der Kriegsjahre systemstabilisierend wirkte. Dennoch fördert Adams materialreiche, aber angenehm leserfreundlich geschriebene Studie durchaus das eine oder andere überraschende Detail zutage. Entgegen der These von der abrupten Gleichschaltung nach der "Machtübernahme" erklärt Adam, dass zumindest bis zum Kriegsbeginn 1939 auch Bücher die auf dem Index standen noch im Handel ihren Platz fanden. So war etwa die Originalausgabe, wenn auch nicht die deutsche Übersetzung, von Aldous Huxleys "Brave New World"laut Adam bis 1939 in den Buchläden zu kaufen.

Der Autor geht sogar noch einen Schritt weiter: Gerade die "Schwarzen Listen" der Nationalsozialisten geben Auskunft darüber, was zur tatsächlich verbreiteten Lektüre dieser Jahre gezählt werden könne. Adam betont allerdings, dass es keine bis ins letzte gesicherte Erkenntnis über die Lesegewohnheiten in im nationalsozialistischen Deutschland geben kann, da es noch keine empirische Marktforschung gab. Die Auflagenzahlen sagen wenig über die Aufnahme von Büchern aus, denn sie wurden mit propagandistischem Hintergrund lanciert.

Christian Adam: "Lesen unter Hitler. Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich", Galiani Verlag, Berlin, 2010, 384 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-86971-027-3

Autor*in
Wiebke Porombka

ist freie Journalistin.

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