"Gasprinzessin", "Sexbombe der ukrainischen Politik", "ukrainische Jeanne d`Arc", "Lady Ju" oder schlicht "Julija" - für Julia Timoschenko existieren viele Bezeichnungen, die die Stationen
ihrer Karriere markieren. Dennoch ist die Heldin der "orangenen Revolution" vielen im Westen und in Russland, aber auch in der Ukraine selbst, auch fast zwei Jahre nach den Massendemonstrationen
auf dem Maidan-Platz in Kiew ein Rätsel geblieben: Wer ist die Frau mit dem auffälligen blonden Zopf? Wofür steht sie? Was sind ihre politischen Ziele? Die aus Moskau stammenden Journalisten Dmitri
Popov und Ilia Milstein, beide seit Jahren für deutsche und russische Medien tätig, suchen Antworten auf diese Fragen. Sie legen einen Biographie Timoschenkos vor, in der sich zugleich die jüngste
Geschichte des nach Russland flächenmäßig größten Landes Europas mit seinen fast 50 Millionen Einwohnern spiegelt.
Anschaulich und fesselnd beschreiben die Autoren den Aufstieg der Ostukrainerin aus ärmlichen Verhältnissen bis an die Spitze der Macht. Mit Hilfe ihres Geschäftssinnes,
Durchsetzungsvermögens und nützlicher Kontakte verdient Timoschenko in einer Zeit des politischen wie gesellschaftlichen Umbruchs Milliarden im Gasgeschäft. Später findet sie Gefallen an der
Politik und profiliert sich schließlich als kämpferische Gegenspielerin des autoritären Präsidenten Leonid Kutschma. Als es Ende 2004 im Anschluss an die Präsidentschaftswahlen zu den
Massenprotesten auf dem Maidan gegen den Wahlfälscher Viktor Janukowitsch kommt, werden Timoschenko und ihr Verbündeter Viktor Juschtschenko zu den strahlenden Sternen dieser "orangenen
Revolution". Die weckt im In- und Ausland große Hoffnungen auf eine demokratische Entwicklung der Ukraine. Doch der Siegestaumel verfliegt schnell. Als neue Ministerpräsidentin bringt Timoschenko
mit ihrer Umverteilungspolitik die alten Eliten gegen sich auf. Auch auf die Unterstützung des neuen Präsidenten kann sie nicht zählen: Für Juschtschenko ist die Revolution vorbei, Timoschenko
hingegen will sie weiter vorantreiben, mit dem Ziel einer gerechten Gesellschaft, dem Besten aus Sozialismus und Kapitalismus. Popov und Milstein analysieren scharfsinnig diese Ereignisse der
"orangenen Revolution" und der postrevolutionären Regierung als Macht-, aber keinesfalls als Systemwechsel, gepaart mit Zerstrittenheit, persönlicher Rivalität und Kompromissunfähigkeit. Im
September 2005 entlässt Juschtschenko schließlich Timoschenko und ist - als die Parlamentswahlen im März keine Entscheidung bringen - im August 2006 gezwungen, seinen alten Rivalen Janukowitsch zum
Ministerpräsidenten zu ernennen. Die Revolution scheint gescheitert, Timoschenko geht erneut in die Opposition.
Beiden Autoren sind Symphatien für ihre Protagonistin deutlich anzumerken, gleichwohl mit kritischen Untertönen, etwa hinsichtlich ihrer Rolle in der Zeit des Wildwest-Kapitalismus oder ihres
Hanges zu fanatischer Entschlossenheit. In einem erneuten Zusammengehen von Timoschenko und Juschtschenko sehen sie dennoch den besten Weg "um des Landes willen." Da das Buch kurz vor den Wahlen im
März erschien, konnten Popov und Milstein die aktuelle Renaissance der Kräfte des alten Systems bei gleichzeitiger Schwächung Juschtschenkos nicht vorhersehen. Ob also die heute 46-jährige
Timoschenko, wie es der Untertitel des Buches verspricht, tatsächlich die "Zukunft der Ukraine nach der Orangenen Revolution" sein wird, ist zumindest heute ungewiss und wird sich vielleicht erst
bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 2009 zeigen. Dennoch macht die Lektüre ihres Buches unmissverständlich klar, dass eine Ukraine mit überwiegend materiell ausgerichteten politischen Eliten,
mächtigen Oligarchengruppen, schwachen und parteiischen Institutionen sowie einer verhängnisvollen Energie-Abhängigkeit von Moskau noch einen weiten Weg zu Demokratie und zur Europäischen Union vor
sich hat.
Robin Rüsenberg
Dmitri Popov, Ilia Milstein: Julia Timoschenko. Die Zukunft der Ukraine nach der Orangenen Revolution, Dumont Literatur- und Kunstverlag, Köln 2006, 365 Seiten, 18,90 Euro, ISBN:
3832179550
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