Zwei elementare Lebensfragen wirft Rayk Wieland in seinem zweiten Roman „Kein Feuer, das nicht brennt“ auf : Was suchen wir in der Ferne? Und was haben wir da zu suchen? Sein Protagonist W., ein Reisejournalist, scheint bestens geeignet, die Antworten zu finden. Die Sache hat nur einen Haken: Er reist nicht.
Es geschah „in den Wirren der Wiedervereinigung und den Wirrnissen seines eigenen Lebens“, dass W., der Held aus Wielands hochgelobtem Debüt „Ich schlage, vor, dass wir uns küssen“ Reisejournalist wurde. Mit 40 Jahren steht er in „Kein Feuer, das nicht brennt“ nun in der Blüte seines Lebens. Seine Reportagen kommen bei den Lesern gut an. Der Chef der „International Geographic Revue“, wo sie abgedruckt werden, ist zufrieden. Was niemand ahnt: Sie sind allesamt erfunden. W. hat noch kein einziges Mal den Boden der ehemaligen DDR verlassen. Dabei wäre es für den in Berlin Lebenden nur ein einziger Schritt, wenn er denn gewollt hätte. „Die Reisefreiheit“, so sein Credo, „ist immer die Reisefreiheit der anderen“. Und denen überlässt er sie auch.
Aus fünf, sechs Artikeln und ein bisschen Fantasie baut er einen siebenten zusammen. Das klappt, bis er eines Tages über Golf in Nordkorea berichtet. Ein paar Wochen nach Erscheinen des Magazins meldet sich ein Attachè der Nordkoreanischen Vertretung im Berliner Verlagshaus. Er stellt klar, dass „eine Person namens W., nicht, genauer gesagt, kein einziges Mal, mit anderen Worten, niemals je in Nordkorea gewesen sei“.
Der Traum vom Traumreisen
Da war er ausgeträumt: Der Traum vom Traumreisen. W. erlebt „seinen persönlichen Weltuntergang“. Auf dem Weg in die Redaktion verursacht sein Taxifaher, der aussieht wie Joschka Fischer, einen Unfall. W. landet im Krankenhaus – im Westen, flüchtet in die Nordkoreanische Botschaft – ein Hostel im Osten. Eine junge nordkoreanische Frau nimmt seinen „Asylantrag“ entgegen und warnt ihn vor zwei Männern in dunklen Anzügen, die auf der Suche nach ihm sind. Jetzt kann nur noch sein bester Freund Moses helfen.
Das Feuer, das nicht brennt
„Erst wenn der Zug abgefahren ist, kommst Du ans Ziel“, lautet Moses’ Lebensweisheit. Und da W. nun als Reisereporter “toter als tot“ sei und ihm „keine überzeugende Erklärung, die alles erklärt“ einfalle, sei es höchste Zeit zu verschwinden. Was liegt da für den Nichtreisejournalisten näher, als einer zu werden. W.s erste wirkliche Reise führt an die Große Chinesische Mauer. Er sucht die Zukunft und findet die Vergangenheit. Er begegnet der Frau aus der Koreanischen Botschaft wieder und lernt Feuer kennen, die nicht brennen. Und er findet heraus, warum seine Freundin Liane ihm einst die Freundschaft kündigte. Aber wird er auch erfahren, was wir in der Ferne suchen und was wir da zu suchen haben?
Der Wahn der Wirklichkeit
Seine Reise endet so ungewöhnlich, wie sie begann. Und lässt den Leser ein wenig ratlos zurück. Denn was um alles in der Welt hat Joschka Fischer mit der ganzen Angelegenheit zu tun – sei es eingangs als verunglücktes Taxifahrer-Double oder am Ende als der während einer Taxifahrt verunglückte Außenminister? Ist es ein Omen? Ein Gleichnis? Ein Wink des Schicksals?
Wieland schreibt eine rasante Geschichte, die nie langweilt. Seine absurde verrückte Story würzt er mit tiefsinnigen philosophischen Gedanken. Womöglich kann Wielands abgefahrene Selbstironie gegen den „Wahn der Wirklichkeit“ wirklich helfen. Wer weiß das schon?
Rayk Wieland: Kein Feuer, das nicht brennt, Verlag Antje Kunstmann, München 2012, 160 Seiten, 16,95 Euro, ISBN 978-3-88897-748-0