Kultur

Die Partisanenvilla

von Dagmar Günther · 4. Juli 2008

Die ungewöhnliche Odyssee von Inge Ginsberg begann 1938 in Wien und endete 1945 in der Schweiz. Sie erzählt ihre Geschichte ausgelassen, mit Humor und ungebrochenem Lebenswillen. Letzterer hatte ihr und ihrer Mutter damals das Leben gerettet. In letzter Minute flüchteten die beiden Frauen 1942 in die Schweiz. Zu diesem Zeitpunkt konnte die damals 22-Jährige noch nicht erahnen, dass sie Zeugin eines geheimen und einmaligen Ereignisses werden würde.

Inge Ginsberg, 1922 geboren, verlebte als Tochter einer wohlhabenden und völlig assimilierten jüdischen Familie in Wien eine glückliche und behütete Kindheit. Die Familie besaß ein Theaterabonnement und eine Villa auf dem Land. Die Tochter erhielt wie viele andere junge Mädchen zu dieser Zeit Musik- und Tanzunterricht. Der Vater, ein erfolgreicher Transportunternehmer, war stolz darauf, dass seine Vorfahren bereits seit 800 Jahren im Land lebten.



Die Flucht vor den Nazis

Der Einmarsch der Nationalsozialisten im März 1938 in Österreich veränderte das Leben vieler Juden. Noch im selben Jahr wurde der Vater der Familie Ginsberg nach Dachau verschleppt. Ab 1939 musste die Familie in die eigens dafür eingerichteten "Judenhäuser" umziehen. Als schließlich 1942 die Deportationen begannen, tauchte Inge Ginsberg zusammen mit ihrer Mutter unter. Fortan führten beide ein Leben als so genannte "U-Boote" mit immer wechselnden Schlafplätzen, die andere für sie organisierten.

Auf Umwegen gelang den Frauen die Flucht in die Schweiz. Aber auch in der Freiheit musste Inge Ginsberg zunächst in einem Flüchtlingslager leben. Mit 600 Personen in einer ehemaligen Spinnerei untergebracht gewöhnte sich die junge Frau schnell an die neue Situation. Auch eine gerade mal 80 Zentimeter breite Strohmatte zum Schlafen und ihre anstrengende Arbeit, das Bodenschrubben, konnten dem lang ersehnten Gefühl der Freiheit nichts anhaben.

Eine Villa in Lugano

1944 veränderte sich Inge Ginsbergs Leben völlig unerwartet: Sie erhielt einen Job als Mädchen für alles in einer Villa in Lugano. Ihr neues Domizil, die "Villa Wesphal", entpuppte sich sehr schnell als Anlaufstelle für italienische Partisanen, finanziert vom US-Geheimdienst. Ihre Aufgabe war es, Essen und andere alltägliche Dinge für die Italiener auf dem Schwarzmarkt zu besorgen.

Lugano war zu dieser Zeit ein Hort internationaler Spione und Agenten. Geheimtreffen standen auf der Tagesordnung. So auch in der Villa Wesphal. Anfang 1945 wurde Inge Ginsberg Zeugin der "Operation Sunrise". Der Schweizer Geheimdienstmajor Hans Waibel, sein Freund Max Husmann und der italienische Baron Parrilli arbeiteten gemeinsam mit den Alliierten auf die Kapitulation des höchsten deutschen Generals, Karl Wolff, in Norditalien, hin. Ein waghalsiges Unterfangen, das Tausende Menschen vor dem Tod bewahren sollte.

Das Leben als Nachspiel

Nach dem Krieg lebte Inge Ginsberg das Leben, das sie wollte: Sie hatte drei Ehen auf drei Kontinenten. Beruflich startete sie mit einer Karriere als Songwriterin für Weltstars wie Doris Day oder Dean Martin. Aber auch als Vermögensverwalterin, Journalistin und neuerdings als Buchautorin ist sie erfolgreich. Und doch bezeichnet Inge Ginsberg dieses spätere Leben als "Nachspiel". Immer wieder tauchen Verdrängtes und Vergessenes aus der Vergangenheit auf.

60 Jahre später hat Inge Ginsberg nun ihre Odyssee in einem Buch festgehalten. Locker und eindrucksvoll geschrieben zieht es den Leser in seinen Bann. Wünschenswert wären noch mehr eigene Gedanken der Autoren zu ihren Erlebnissen gewesen. Diese hätten ihren Überlebensbericht noch persönlicher gemacht.

Edda Neumann

Inge Ginsberg: Die Partisanenvilla, Erinnerungen an Flucht, Geheimdienst und zahlreiche Schlager, dtv, 2008, 157 Seiten, 13,90 Euro, ISBN-13: 978-3423246804

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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