Der „Rufer im eigenen Land“ gilt bekanntlich wenig. Vielleicht hören die für Deutschlands Bildungspolitik Zuständigen ja eher hin, wenn sich ein Branchenfremder der Thematik widmet. Wie kann das Projekt Schule gelingen? fragt sich Medizinprofessor und Psychotherapeut Joachim Bauer. Er findet Antworten, die nicht in jedem Falle neu, aber in der Herangehensweise anders und überzeugend sind.
Das derzeit gern gesungene "Lob der Disziplin" wird unseren Schulen nicht weiterhelfen. Das mag im Elite-Internat des Bernhard Bueb mehr oder weniger funktioniert haben. Aber wer sich damit zufrieden gibt, bastelt an den Symptomen herum, ohne zum Kern des Problems vorzudringen. Die entscheidende Frage, so Joachim Bauer, sei die der "Motivation zum Erwerb von Bildung".
Hinzu komme der "Wille zur Kooperation zwischen Lernenden, Lehrenden und Eltern" sowie schließlich die "Fähigkeit von Lehrern und Schülern, im Unterricht eine Beziehung zu gestalten, die Lehren und Lernen möglich macht". Aber wie bekommt man dieses dynamische Dreigestirn in den Griff?
Wer andern eine Schule baut, muss selbst hinein
Alle drei sind nach Bauer neurobiologisch verankert. Folglich brauchen wir - und dies ist sein neuer Ansatz - eine Neurobiologie der Schule. Die hat "weder Deutungshoheit noch einen Alleinvertretungsanspruch" und ist doch wesentlich. Joachim Bauer arbeitet heraus, warum das so ist. Ein Kind sei schließlich kein Aktenordner, in den man Wissensinhalte einheften kann, sondern ein Lebewesen, dessen Verhalten neurobiologischen Grundregeln unterworfen sei. Es im Bildungsprozess voranzubringen, ist etwas anderes als "Entwerfen, Niederschreiben und Einheften von Protokollen und Erlassen". Oftmals müssen Lehrer erst einmal eine Situation schaffen, in der Unterricht überhaupt möglich ist. Da sei es wenig dienlich, wenn sie als faule Säcke der Nation verunglimpft werden. Und Schüler wünschen sich "Wer andern eine Schule baut muss selbst hinein". Warum wohl?
Wann Ersatzreize gesucht werden
In diesem Spannungsfeld agiert das Projekt Schule. Sehr praktisch erklärt Joachim Bauer die Zusammenhänge zwischen Lebenssituationen und menschlichen Erfahrungen auf der einen Seite. Auf der anderen beleuchtet er die durch sie beeinflussten neurobiologischen Abläufe, die der Motivation und Leistungsbereitschaft eines Kindes zugrunde liegen und zieht Konsequenzen: "Entscheidende Voraussetzung für die biologische Funktionstüchtigkeit unserer Motivationssysteme sind das Interesse, die soziale Anerkennung und die persönliche Wertschätzung, die einem Menschen von anderen entgegengebracht werden." Kinder und Jugendliche erhalten diese " im Rahmen zuverlässiger persönlicher Beziehungen... zu Eltern oder anderen Angehörigen, aber auch zu Lehrern und anderen Mentoren" Bekommen sie diese nicht nicht, suchen sie sich Ersatzreize.
Musik und Bewegung kontra Angst und Stress
Und keine Angst Joachim Bauer quält den Leser nicht mit biologischen Fachbegriffen noch mit langatmigen wissenschaftlichen Abhandlungen. Anschaulich und nachvollziehbar analysiert er auf 141 Seiten die Bildungskiller Angst und Stress, deckt die positive Wirkung von Musik und Bewegung auf die neurobiologischen Motivationssysteme auf, lüftet das Erfolgsgeheimnis guten Unterrichts... Er gibt lebensnahe Hinweise, wie wir aus dem Bildungsdilemma-Dilemma herauskommen können: von den zehn Regeln eines Schulvertrages über zwölf Hinweise für das Auftreten des Lehrers bis zum Leitfaden für Elternhaus und Schule, die als "mirror system" funktionieren, wenn "Einfühlung und Spiegelung" Kinder und Jugendliche "als unsichtbares Band ins Leben" führen.
Dieses Buch ist ein Muss für Schüler, Lehrer und Eltern!
Joachim Bauer: Lob der Schule. Sieben Perspektiven für Schüler, Lehrer und Eltern, Hoffmann und Campe, Hamburg 2007, 141 Seiten, 12,95 Euro, ISBN978-3-455-50032-5