Kultur

Die Nazi-Morde gehen uns alle an

von Johannes Hartl · 19. November 2012

Das Buch „Terror von Rechts“ nimmt nicht nur die Sicherheitsbehörden und die Politik sondern auch die Medien und die Zivilgesellschaft in den Blick.

„Menschen, nicht Döner“. So lautet die Überschrift des ersten Kapitels von „Terror von Rechts“. Der Autor Patrick Gensing setzt damit schon auf den ersten paar Seiten des 230 starken Buchs Akzente, die nachhaltig im Gedächtnis bleiben. Akribisch analysiert der fachkundige Journalist den NSU-Komplex und das gesellschaftliche Klima, in dem die rechtsterroristische Zelle entstehen – und später auch morden konnte. Doch Gensing bleibt nicht nur bei der Analyse, er blickt tiefer, geht ins Detail – und zeigt Alternativen auf.

Bereits im ersten Kapitel macht Gensing deutlich, dass das Versagen nicht etwa nur bei den Sicherheitsbehörden und der Politik zu suchen ist. Vielmehr haben auch die Zivilgesellschaft und die Medien versagt – hinterfragt wurden die Informationen der Polizei nämlich damals de facto von niemandem, so der Grundtenor des Buchs. Zu-dem sei ein gewisses in der Gesellschaft verankertes rassistisches Klima der „an-geblich schweigenden Mehrheit“ (Seite 11) zumindest ein Nährboden gewesen, der den NSU-Terroristen in der Ausübungen ihrer Taten Recht gegeben haben könnte.

Die Opfer hatten schlicht keine Lobby

Weiterhin kritisiert Autor Gensing eine „Einteilung in ‚Wir’ und ‚Die’“, die Nicht-Anerkennung aller Todesopfer rechter Gewalt durch die Bundesregierung und den „schwachen öffentlichen Druck bei diesem Thema“, der „die Politik kaum in Verle-genheit brachte“ (Seite 14). Hier liege die Verantwortung ebenfalls in der Hand der Zivilgesellschaft und der Medien, die allerdings oft oberflächlich, falsch oder aber gleich gar nicht berichten würden. In Anbetracht dieses Umstands kommt Gensing zu einem simplen, aber faktisch richtigen Schluss: „Die Opfer hatten schlicht keine Lob-by, da Migranten in öffentlichen Debatten lieber als Täter denn als Opfer gesehen werden.“

An anderer Stelle verdeutlicht Gensing, dass es fatal war, auf Bekennerschreiben zu warten, da diese bei „Rechtsextremen eine absolute Ausnahme“ (Seite 21) seien, und stellt anschließend die Frage in den Raum, wieso eindeutige Textstellen wie et-wa in dem Song „Döner-Killer“ der Band „Gigi & die braunen Stadtmusikanten“ bei den dafür zuständigen Behörden nicht aufgefallen sind. Immer wieder zitiert der Au-tor außerdem aus rechtsextremen Texten, die keinerlei Zweifel an der Gewaltaffinität  lassen, wodurch es ihm zugleich spielerisch gelingt, die jahrelang getätigten Behaup-tungen der Sicherheitsbehörden mit Fakten zu widerlegen.

"Pannen mit System"

Gensing prangert außerdem die mediale Reduktion auf ein Terror-Trio an („Damit wird ausgeblendet, dass ein Unterstützernetzwerk existierte und die Ideologie der Terroristen gesellschaftlich anschlussfähig ist – zumindest teilweise“, Seite 58) und wirft einen detaillierten Blick auf „das braune Netz“ (ab Seite 84). Hier stehen beson-ders das „Blood-&-Honour-Netzwerk und „die vielfältigen Spuren in andere Bundes-länder“, die der NSU hinterlassen hat, im Fokus der Betrachtung, was Gensing wie-derum zu der Feststellung kommen lässt: „Die Verbindungen und Strukturen werden noch ganze Bücher füllen können, zum gegenwärtigem Zeitpunkt kann nur angedeu-tet werden, wie groß und arbeitsfähig die Strukturen waren.“ Ähnlich fällt auch das Resümee zum „Blood-&-Honour“-Netz aus: „Die Bedeutung der Musiknetzwerke kann also im Zusammenhang mit dem NSU gar nicht hoch genug eingeschätzt wer-den, dies gilt für die Vernetzung, die Finanzierung durch Konzerte und Festivals in der ersten Zeit des Abtauchens sowie auch die mögliche Propaganda nach innen und die Mobilisierung“ (beides: Seite 102).

Bezieht sich der erste Teil des Buches noch auf den „Terror von Rechts“, so beschäf-tigt sich der zweite Abschnitt mit der durchaus berechtigten Frage, ob man denn „hilf-los gegen Rechts“ sei? Und hier wird schnell klar, dass der Autor ganz genau weiß, wovon er schreibt.

Detailliert widmet sich Patrick Gensing den „Pannen mit System“, beleuchtet die „Kontenpunkte“ zwischen NSU und NPD, zeichnet die Ermittlungen zur rassistischen Mordserie nach und zweifelt an der V-Mann-Praxis des Verfassungsschutzes, die bislang kaum genutzt habe. Weitere Bestandteile des Sachbuches sind die Missach-tung von „gewachsenen Neonazi-Netzwerken in Thüringen und Sachsen“ (Seite 139) und das Verhalten der Politik, das zumeist nur noch mit dem Wort „Ignoranz“ treffend beschreiben lässt. Über Jahre hinweg wurde die Gefahr nicht ernst genommen, selbst heute ist das nicht viel anders.

"Für das gesellschaftliche Klima sind alle mitverantwortlich"

Der Autor vergleicht auch, wie sich Norwegen nach Breiviks Terrorakt im Juli 2011 und Deutschland nach Bekanntwerden des NSU-Rechtsterrors verhalten haben: „In Norwegen lautete die Antwort auf den rechtsextremen Terror: mehr Toleranz, mehr Offenheit, mehr multikulturelle Gesellschaft. In Deutschland wurden die Ermittlungs-behörden und Geheimdienste, die über Jahre versagt hatten, hingegen mit noch mehr Kompetenzen ausgestattet. Nur der Staatsakt für die NSU-Opfer war ein Signal, das Hoffnung machte. Bislang blieb es bei der Hoffnung“, bilanziert der Autor (Seite 161).

Gensings Werk hebt sich hier positiv von anderen Büchern zum NSU ab. Wird in den meisten Publikationen zum Thema der Weg des NSU nüchtern nachgezeichnet, sein Unterstützernetzwerk beleuchtet und auf die Ermittlungsarbeiten der Behörden Be-zug genommen, setzt Patrick Gensing an einem ganz anderen Punkt an. Er äußert laute Kritik, lässt kritische Stimmen zu Wort kommen und sieht auch dort hin, wo vie-le andere zuletzt nicht hingesehen haben. Deshalb verwundert es kaum, dass auch der Rassismus in der vermeintlichen „Mitte der Gesellschaft“ ein Thema des Buches ist, genauso wie die Behinderung von zivilgesellschaftlichen Initiativen durch die Ex-tremismusklausel von Bundesfamilienministern Kristina Schröder (CDU).

Das beste Kapitel ist im übrigen auch das letzte. Dort schließt Gensing nämlich mit einer bemerkenswerten Empfehlung: „Für das gesellschaftliche Klima sind wir alle mitverantwortlich. Lernen wir aus den Fehlern der Vergangenheit, denn sie gehen uns alle an – die Nazi-Morde und das Versagen der Politik.“ (Seite 228)

Insgesamt ist Terror von Rechts“ also ein sehr gelungen Buch, wenn nicht sogar das Beste, das bislang zum NSU-Komplex und dessen Aufarbeitung erschienen ist. Auf jeden Fall setzt der Autor neue Akzente, die im Gedächtnis bleiben, sich einprägen und den ein oder anderen im Idealfall auch zum Nachdenken anregen. Dafür eignet sich das Buch nämlich zweifelsohne, weswegen es auch eine klare Leseempfehlung verdient.

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen beim "Blick nach rechts".

Patrick Gensing, Terror von Rechts, Berlin 2012 (Rotbuch-Verlag), 236 Seiten, 14,95 Euro.

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