Der kanadisch-britische Journalist Doug Saunders, Jahrgang 1967, hat die Behauptungen der Agitatoren der Überfremdung unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse hat er in seinem neuesten Buch „Mythos Überfremdung“ zusammengetragen. Ein Kernargument in der Debatte um Überfremdung ist die Behauptung, Muslime würden in ein paar Jahrzehnten die Mehrheit der europäischen Bevölkerung bilden. Auf Basis von demografischen Berechnungen entlarvt Saunders es als Lüge: In Deutschland werden im Jahr 2030 7,1 Prozent der Bevölkerung muslimisch sein; heute sind es 4,1 Prozent. Im Jahr 2050 werden weniger als 10 Prozent der europäischen Bevölkerung Muslime sein. Von einer Mehrheit ist das weit entfernt.
Loyal zum Aufnahmeland
Saunders geht es in seinem Buch weniger darum den Islam zu verteidigen, als zu beleuchten wie sich Muslime in der westlichen Hemisphäre tatsächlich verhalten. So stellt er die Frage, ob die Menschen gegenüber ihrer Religion bzw. ihren Herkunftsländern loyal seien. Anhand von Studien belegt Saunders, dass 77 Prozent der Muslime in Großbritannien sich mit den demokratischen Institutionen des Aufnahmelandes identifizieren – im Vergleich zu 52 Prozent aller Briten. Ähnliche euphorische Zustimmung in andern westlichen Ländern.
Auch die Behauptung, dass Muslime zwangsläufig Parallelgesellschaften bilden sei falsch. Wenn Muslime im Bildungssystem und in der Arbeitswelt keinen Platz bekommen, geraten sie in Isolation oder dauerhafte Armut. Damit, so Saunders, seien sie „kein Produkt der eigene Herkunft und Gemeinschaft, sondern in den meisten Fällen ein Opfer der Lücken und Unzulänglichkeiten in unseren Wirtschafts- und Bildungssystemen“.
Alte Argumente in neuen Schläuchen
Auch zum Thema Extremismus gibt es neue Untersuchungen, die Sachlichkeit in die aufgeheizte Debatte bringen. Nahezu 100 Prozent der muslimischen Einwanderer in Deutschland, Frankreich und Großbritannien billigen Ehrenmorde nicht. Ebenso mit großer Mehrheit verurteilen sie terroristische Gewalt. Geheimdienst-Studien zu Terroristen zeigen zudem, dass weder fromme noch fundamentalistische Muslime zu Terroristen werden. Hier spielen Faktoren wie die persönliche oder politische Überzeugung eine Rolle, nicht der Glaube.
Mit einem Blick in die Vergangenzeit zeigt Saunders auf, dass Vorurteile gegen religiöse Minderheiten nichts Neues ist. Als Anfang des 20. Jahrhunderts vermehrt südeuropäische Katholiken und aschkenasische Juden nach Nordamerika einwanderten. Damals sprachen Wortführer sowohl über eine bedrohliche Katholiken- als auch über eine Judenflut. Das Erstaunliche: Sie taten es mit den gleichen feindseligen Argumenten, mit denen Sarrazin und Co. nun gegen die Muslime agitieren.
„Mythos Überfremdung“ ist ein sehr wichtiger, erhellender und erkenntnisreicher Beitrag und hilft die Migrations-Debatte sachlich, unideologisch ohne Hysterie zu führen.
Doug Saunders: „Mythos Überfremdung. Eine Abrechnung“ Aus dem Englischen von Werner Roller, Karl Blessing Verlag, München 2012. 18,99 Euro, ISBN 978-3-89667-486-9
Veranstaltungen mit Doug Saunders:
- 8. Dezember, 10 Uhr, Bremen: Institut Français Contrescarpe 19, 28203 Bremen. Eintritt frei. Anmeldung per E-Mail erbeten an ruedel.boell@arcor.de
- 10. Dezember, 20 Uhr, Hamburg: Hamburger Rathaus, Kaisersaal, Rathausmarkt 1, 20095 Hamburg. Eintritt frei. Anmeldung erbeten unter E-Mail info@gruene-fraktion.hamburg.de oder Telefon: 040-42831-1397.
- 11. Dezember, 19 Uhr, Rostock: Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Raum 224, Ulmenstraße 69, 18057 Rostock. Eintritt frei. Anmeldung erbeten unter Telefon 0381-4922184.
- 13. Dezember, 19 Uhr, Berlin: Grüne Akademie In der Heinrich Böll Stiftung, Schumannstraße 8, 10117 Berlin. Eintritt frei. Anmeldung erbeten unter E-Mail Filiz.Kekulluoglu@BOELL.DE