Verdammt zum Neuanfang: Die lakonische Tragikomödie „Silvi“ nimmt uns mit auf die Reise zu den Abgründen und Sehnsüchten einer Frau, deren Leben von einem Moment auf den anderen aus der Bahn geworfen wird.
Jedes Ende einer Beziehung steht für ein Drama. Manchmal tritt das Dramatische umso deutlicher zutage, wenn der Punkt, an dem es kein Zurück gibt, denkbar profan eingerahmt wird. Genauso ergeht es Silvi. Seit fast 30 Jahren ist die 47-Jährige mit ihrer Jugendliebe verheiratet – inklusive Kinder, Haus und weiter. Nach einem Abstecher in die Waschstraße am Berliner Stadtrand ist plötzlich nichts mehr, wie es war. Silvis Mann stoppt den Wagen, zischt ein Bier und sagt: „Ich kenne jede Falte an dir, du kennst jeden Pickel an mir, ich weiß, was du einkaufst. Das ist doch ein Alptraum!“ Sprach's und verschwindet. Silvi bleibt allein zurück und muss das Steuer übernehmen, und zwar in vielerlei Hinsicht.
Jeder wird jetzt das Übliche erwarten: Silvi gerät in eine Sinnkrise und muss sich neu sortieren. Zum Teil erfüllt Nachwuchsregisseur Nico Sommer diese Erwartung: Szene für Szene erleben wir eine an sich selbst zweifelnde und an den Männern verzweifelnde Silvi – immer auf der Suche nach dem neuen Glück und wiederholt herben Enttäuschungen ausgesetzt. Einige der Herren, mit denen sie sich auf erotische Ausschweifungen einlässt, um sich, wie sie sagt, nach jahrelangem Ehetrott „wieder zu spüren“, sind eher an zeitlich begrenzter Zweisamkeit interessiert.
Silvi hingegen sucht nicht nur nach unverbrauchten Wegen zum Orgasmus. Selbst wenn sie sich bei ihren Dates auf Koks, Latex und andere Extravaganzen einlässt. Ihr geht es vor allem um Respekt und Geborgenheit. Ein nahezu hoffnungsloses Unterfangen, zumal sich am Ende sogar jener Kandidat, der ihr all das zu bieten scheint, als unbrauchbar erweist. Doch Silvi gibt nicht auf. Anstatt alles hinzuschmeißen, wurschtelt sie sich durch, ohne am Vergangenen zu hängen: bisweilen naiv, aber immer pragmatisch. Das verleiht ihr eine Souveränität, die sie einige Zeit zuvor wohl für unmöglich gehalten hätte.
Lakonisch und burlesk
Wer meint, von dieser Krise, die in der Tat eine Chance ist, ließe sich einzig und allein mit düsterer Bedeutungsschwere erzählen, irrt gewaltig. Gerade die Leichtigkeit, mit der der Film dieser Suchenden folgt, macht erst recht auf sie neugierig. Dazu gehört jener lakonische Humor, mit dem sich die auf den ersten Blick recht unscheinbare Silvi beispielsweise in die Welt der Sado-Maso-Erotik einführen lässt.
So schwebend und tastend wie ihr Inneres ist auch die Tonalität dieser Tragikomödie. Gemeinsam mit Silvi stolpert der Zuschauer in neue Situationen hinein, die jede für sich wie auch insgesamt ein Abenteuer mit offenem Ausgang bilden. Dabei kommt der Erzählfaden Silvi und den Männern, denen sie begegnet, so nah wie nur möglich. So wird deutlich, dass ihr eigentliches Drama schon Jahre vor dem Moment nach jener Autowäsche begonnen hat.
Das atmosphärisch dichte Schweben und der Reiz des Ungewissen sind es, die einen selbst dann bei der Stange halten, wenn die Handlung einen Gang zurückschaltet, sogar ins Banale abdriftet. Auch dann bleibt die realistische,nahezu dokumentarische Aura erhalten. Etwa, wenn Silvi in interviewähnlichen Situationen wie beiläufig, aber grundehrlich über ihre jüngsten Erfahrungen Zeugnis ablegt („Schön, wenn der Schmerz nachlässt. Trinke Wein und weine dann. Dann kann ich besser loslassen. Dann geht's mir hinterher auch immer ein bisschen besser“) oder während einer Plauderei mit ihrer Freundin um Rat fragt. Einer der Ratschläge lautet, vorerst keinen Mann mit nach Hause zu nehmen. Doch irgendwann lässt Silvi diesen Vorsatz fallen. Sie wird es bereuen.
Erfolg mit Alltagsnöten
Dass dieses präzise beobachtende und nicht zuletzt mit Hauptdarstellerin Lina Wendel hervorragend besetzte Porträt von einer Frau, die sich neu erfinden beziehungsweise wiederentdecken möchte, bereits mehrere internationale Preise – unter anderem den New Berlin Film Award und den Preis des Verbandes der deutschen Filmkritik – gewonnen hat, überrascht kaum. Nicht zuletzt der Erfolg von Regisseuren wie Andreas Dresen zeigt, welch eine Resonanz für behutsam erzählten Filmstoff über die Nöte des Alltags möglich ist. In seiner Grundhaltung gegenüber einer Geschichte und deren Figuren scheint Sommer von Dresen nicht allzu weit entfernt zu sein, wenngleich er ästhetisch eigene Akzente setzt.
Negativ überrascht dagegen die Tatsache, dass der gerade einmal 30-jährige Absolvent der Kunsthochschule Kassel für seinen Film weder von Fernsehsendern noch von den üblichen Förderinstitutionen eine Finanzierung bekam. So stellte Sommer eine Low-Budget-Produktion auf die Beine, was unter anderem bedeutete, dass die Schauspieler ohne Gage arbeiteten. Bleibt nur zu hoffen, dass derlei Projekten künftig bessere Zeiten beschieden sind.
Silvi (D 2013), Regie:Nico Sommer, Drehbuch: Julia Stiebe, mit Lina Wendel, Peter Trabner, Harald Polzin, Thorsten Merten u.a., 93 Minuten, FSK ab 16. Ab sofort im Kino www.silvi-derfilm.de
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