Kultur

Die Kultur hat ein Gesicht

von Die Redaktion · 24. August 2005
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Regisseur Jürgen Flimm, Schriftsteller Günter Grass, Bild-Künstler Günther Uecker Kulturstaatsministerin Christina Weiss und Klaus Staeck hatten auf Einladung von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse in dessen Wahlkreis Berlin-Prenzlauer Berg zwei Stunden über sieben Jahre rot-grüne Bundeskulturpolitik diskutiert.

"Gerhard Schröder gab der Kulturpolitk in Deutschland ein Gesicht, indem er den Posten des Kulturstaatsministers schuf", lobte Thierse. Das aktuelle "Gesicht", Christina Weiss, zog eine positive Bilanz der bisherigen Arbeit. "Es gab einen emotionalen Aufschwung", stellte sie fest. "In der Kultur haben wir die Spaltung zwischen Ost und West überwunden." Dies sei besonders deshalb gelungen, weil "Gerhard Schröder die Kultur vom Katzentisch an den Kabinettstisch holte", bilanzierte Klaus Staeck. Jürgen Flimm erinnerte an "anregende Treffen bei viel Rotwein" und ergänzte: "Gerhard Schröder hat ein gutes Klima für uns Künstler geschaffen." Zur Sprache kamen der Erhalt der Künstlersozialkasse, die Filmförderung, die Novellierung des Urheberrechts und Verbesserungen für Übersetzer.

Dennoch bleibe einiges zu tun, waren sich die sechs einig. "Viele ostdeutsche Verlage und andere Kultureinrichtungen sind nach der Wende abgewickelt worden", gab Günter Grass bereits in seinen einleitenden Worten zu bedenken. Viele Ost-Autoren würden bis heute im Westen nicht wahrgenommen. "Da gibt es mentale Lücken."

Dass etwas Ähnliches nach der Ost-Erweitung der Europäischen Union nicht wieder passiert, forderte Christina Weiss. Auch aus diesem Grund wurde während ihrer Zeit als Staatsministerin die Bundeskulturstifung geschaffen, die in erster Linie Projekte mit ost- und mitteleuropäischen Staaten betreut. "Wir bringen Künstler zusammen und schaffen ihnen Räume," so Weiss.

Ein wichtiges Kapitel und manchmal auch ein Hindernis ist in diesem Zusammenhang der Umgang mit der Vertreibung der Deutschen im zweiten Weltkrieg. "Dieses Thema ist ein weites Feld", stellte Günter Grass in Anspielung auf seinen Roman fest und erntete wohlwollendes Lachen des Publikums. Schnell wurde es jedoch wieder ernst als Grass eine "klare Haltung" in der Vertreibungsfrage forderte. Es müsse deutlich gemacht werden, in welcher Reihenfolge die Vertreibung erfolgte. "Ich bin für ein internationales Forschungszentrum zu diesem Thema", ließ er die Zuhörer wissen und sprach damit die Pläne von Christina Weiss aus, die den Grundstein zu einem solchen Projekt demnächst legen wird. "In zwei Wochen werden Polen, Ungarn, die Slowakei und Deutschland eine gemeinsame Satzung für ein Netzwerk 'Solidarität und Erinnerung' unterzeichnen", gab sie bekannt. "Dieses wird seinen Sitz in Warschau haben."

Die Zukunft der Bundeskulturpolitik bildete den Abschluss des interessanten und unterhaltsamen Abends. "Wir müssen insgesamt handlungsfähiger in der äußeren Kulturpolitik werden", gab Christina Weiss die Richtung vor und wünschte sich, die auswärtige Kulturpolitik wie die Goehte-Institute ins Kulturstaatsministerium einzufügen. Ein eigenes Ministerium für Kultur sei in diesem Zusammenhang erstrebenswert. "Aus meiner Sicht ist das noch zu früh", entgegnete Günter Grass. Er wittere die Gefahr, die Kultur könnte zum "Zankapfel" zwischen dem Bund und den Ländern werden. "Wir sollten jedoch den Kulturauftrag in der Verfassung verankern", forderte er. Diese Meinung teilte auch Jürgen Flimm. "Das Kind Kultur ist groß geworden, eine Aufnahme in die Verfassung längst überfällig."

Doch die Zukunft bleibt ungewiss. Vieles hängt vom Ausgang der Bundestagswahl am 18. September ab. Günter Grass verlangte, die noch junge Tradition, dass sich Künstler und Intellektuelle als Bürger engagieren, weiter zu entwickeln. Denn engagierte Bürger hätten in der Weimarer Republik gefehlt. Man müsse sich deutlich positionieren: "Wer Angst vor dem Feuilleton hat, hat als Schriftsteller seinen Beruf verfehlt." Klaus Staeck beharrte auf seiner Selbstständigkeit als Künstler. "Ohne Umsatz gibt es auch keinen Idealismus." Einige waren sich die Künstler, dass Christina Weiss auch nach der Bundestagswahl in ihrem Amt bleiben müsse. Günter Grass: "Denn ich weiß, was uns blüht, wenn Deutschland wieder eingeschwärzt wird."

Dagmar Günther

Kai Doering

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