Die Kontroverse bleibt dem Stelenfeld treu wie die Besucher<br /><br />
Dass der Andrang die kühnsten Erwartungen übertraf, hat die Diskussionen nicht etwa verstummen lassen. Auf dem grauen Betonfeld blüht der Streit wie eh und je. Erst waren es die
"Stelenspringer", die in vermeintlich respektloser Manier über die Betonblöcke hüpften. Nun ist es das neue Kiosk-Monstrum, das an einer Seite des Areals in die Höhe geschossen ist und von vielen
als geschmacklos empfunden wird.
Schon seitdem die Publizistin Lea Rosh 1988 erstmals den Bau eines zentralen Mahnmals für die Holocaust-Opfer angeregt hatte, wurde darüber gestritten. Die Tatsache, dass der Bau dem Gedenken
an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus vorbehalten sei und andere Opfergruppen außen vor blieben, erregte die Gemüter. Später brachte die Kontroverse um den von der Degussa hergestellten
Graffittischutz der Stelen das 27,6 Millionen teure Projekt beinahe zum Scheitern. Eine Degussa-Tochterfirma hatte das Giftgas für die Konzentrationslager produziert.
Schließlich gab und gibt es solche, die mit dem auf höchste Abstraktion zielenden Stil des Architekten Peter Eisenman wenig anfangen können. Alle Symbolik, die ein Denkmal bis dato ausmachte,
ist hier bis auf den blanken Beton reduziert. Erinnert es an das Meer? An einen jüdischen Friedhof? So offen wie der Zugang zu dem Bauwerk ist auch die Interpretation seiner Gestalt.
Bewusst sprechen die Verantwortlichen von einem Denk- und keinem Mahnmal und empfinden das nicht als Haarspalterei. Denn das Konzept verzichtet auf jede Form der Belehrung. Jeder sieht das
Feld mit eigenen Augen und an jeder Stelle des Baus ist der Eindruck ein anderer. Wer das wellige Areal im gleißenden Sonnenlicht betritt, steht nur wenige Meter weiter zwischen meterhohen Säulen
im Dunkeln.
Dass sein Bauwerk mittlerweile als öffentlicher Platz wahrgenommen werde, freut den Architekten Eisenman, der schon vor einem Jahr Besucher dazu aufgerufen hatte, auf den Stelen zu
picknicken. Die Fachwelt reagiert positiv: Im Februar verlieh eine renommierte US-Zeitschrift dem Stelenfeld den Designpreis 2006.
Beliebt ist das Bauwerk bei Touristen. Der enorme Publikumsandrang kommt zu 40 Prozent aus dem Ausland. Insgesamt 3,5 Millionen Menschen besuchten im ersten Jahr das Stelenfeld, 490 000 den
darunter liegenden Ort der Information.
Trotz dieser beeindruckenden Zahlen reißen auch zum Jubiläum die Diskussionen, wie um den für nur drei Jahre erbauten Kiosk-Riegel aus Holz nicht ab. Wer weiß, vielleicht ist das wirkliche
Mahnmal ja die nie endende Debatte um das Stelenfeld? Dass Deutschland mit dem Bau eines Denkmals seine Schuld nicht ablegen kann wie einen Rucksack, dafür steht die Diskussion, die zum Denkmal
gehört wie die Besucher.
Manuel Preuten