Kultur

Die Ideologie des Shoppens

von ohne Autor · 31. Dezember 2009
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Was macht Zygmunt Baumans Essay über die Auswüchse der sofortigen Bedürfnisbefriedigung, die die Konsumgesellschaft prägt, so interessant? Schließlich handelt es sich um ein Phänomen, dass seit Jahrzehnten zu den Lieblingsfeldern von Soziologen, Kulturwissenschaftlern und der Psychoanalyse zählt.

Es ist vor allem der Anspruch des emeritierten Soziologie-Professors aus Leeds, mit einem Erklärmodell verschiedenste Sphären der gegenwärtigen Zivilisation und Alltagskultur zu durchleuchten und gegenüber früheren Entwicklungsphasen der Moderne abzugrenzen. Das gilt besonders für das vergangene Zeitalter der Produzenten, als Waren noch für die Ewigkeit gemacht waren und aktuelle Bedürfnisse zugunsten späterer Verheißungen hintangestellt wurden. Nichts voll alldem ist geblieben: Heutzutage überbieten Verbraucher einander darin, neue Produkte und Trends aufzusaugen und ebenso schnell wieder abzustoßen, um am kollektiven Glücksgefühl einer Identität durch Konsum teilzuhaben.

Die gleichen Erwartungen stellen sie an soziale Bindungen und politische Systeme. Beziehungen zerbrechen genauso spontan wie sie geschlossen werden. Eine sinkende Wahlbeteiligung sei das deutlichste Zeichen dafür, dass der Durchschnittsmensch schnelle Erfolge - und nur die zählen im Zeitalter der "konsumistischen Revolution" - eher Lobbyisten als politischen Parteien zutraut. Diesen schiebt Bauman einen entscheidenden Anteil der Verantwortung für die radikale Ökonomisierung des Lebens zu, wie er anhand berüchtigter Schlüsselbegriffe wie Deregulierung und Privatisierung festmacht, die seit den 1980er-Jahren eine Erosion des Sozialstaats in großen Teilen der westlichen Welt ausgelöst haben.

Mit der Folge, dass sich gerade die vom Konsum Ausgeschlossenen vom politischen Geschehen abwandten. Das beste Mittel gegen diese Art eines politikfernen Konsumismus', so Bauman, sei daher eine Sozialpolitik, die ihren Namen auch verdient: "Ohne soziale Rechte für alle wird eine große und aller Wahrscheinlichkeit nach steigende Anzahl von Menschen ihre politischen Rechte für nutzlos und ihre Aufmerksamkeit nicht wert erachten."

Gerade skandinavische Länder führt der Globalisierungs-Experte als Beispiele dafür an, dass sich ein hohes Konsumniveau und ein starker Sozialstaat keinesfalls ausschließen. Daraus lässt sich schließen, dass ein Ausweg aus der Konsumgesellschaft zurzeit unmöglich ist: Man kann ihr lediglich ein (mit-)menschliches Antlitz verleihen.

Baumans hermetisches Bild von einer Totalität des Konsums mag verstören. Doch mittels dieses Modells gelingt es dem Autoren, gefährliche, wenn nicht selbstzerstörerische Strukturelemente eines Gesellschaftstypus' zu veranschaulichen, den viele nach dem Bankencrash im Jahr 2008 für erledigt hielten. Dass er seine Gedanken ohne Schaum vor dem Mund, sondern mit der entspannten Haltung eines verdienten Forscherlebens ausbreitet, macht das Buch umso lebenswerter.


Zygmunt Bauman: Leben als Konsum, Hamburger Edition, ISBN: 3868542116/ 978-3868542110, 15 Euro

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