Kultur

„Die Habenichtse“: Generation ungefähr

Wenn alles um einen herum Risse bekommt: Die Romanverfilmung „Die Habenichtse“ malt das Lebensgefühl einer verunsicherten Generation in grauen Tönen.
von ohne Autor · 2. Dezember 2016
 Gemeinsam einsam: Jakob (Sebastian Zimmler) und Isabella (Julia Jentsch) in „Die Habenichtse“
Gemeinsam einsam: Jakob (Sebastian Zimmler) und Isabella (Julia Jentsch) in „Die Habenichtse“

Die Nullerjahre erfüllten viele Zeitgenossen mit Euphorie. Für Menschen und Ideen schien es keine Grenzen mehr zu geben. Nicht nur das Internet machte es möglich. Die Terroranschläge vom 11. September 2001, die US-Invasion im Irak 2003 sowie deren verheerende Folgen tauchten die Welt in düstere Farben und zerstörten vielerlei Illusionen einer Generation, die jenseits der Flexibilität ohnehin kaum Werte kennt. Schlechte Zeiten für nicht mehr ganz so junge Menschen, die ohnehin Mühe haben, ihrem Leben eine Idee oder ein Ideal zu geben. Ganz zu schweigen von denen, in deren Alltag der Terror unvermittelt Einzug hält.

Liebesbeziehung in Schwarzweiß

Genau so ergeht es Isabella und Jakob. Zu Uni-Zeiten hatten sie eine Affäre. Zehn Jahre später treffen sie sich in Berlin wieder: und zwar am 11. September 2001. Der gemeinsame Freund Hans hat das Wiedersehen arrangiert. Um Isabella bei einer Ausstellungseröffnung zu begegnen, reist Jakob einen Tag früher von einem Geschäftstermin in New York zurück an die Spree. Hans bleibt und stirbt im World Trade Center. Die mäßig erfolgreiche Grafikerin und der aufstrebende Anwalt kommen sich näher, doch über der Beziehung liegt ein Schatten: Jakob plagen Schuldgefühle, die sich noch steigern, als er Hans' Job in einer Londoner Kanzlei übernimmt. Isabella folgt ihm auf die Insel und versucht sich als Kinderbuchillustratorin.

Während sie daheim auf ihren überarbeiteten Gatten wartet, kommt Isabella mit den Abgehängten ihres prekären Wohnviertels in Berührung. Es sind sozusagen die sozialen Habenichtse. Zum Beispiel das kleine Mädchen aus der Nachbarsfamilie mit dem saufenden und prügelnden Vater. Oder der Drogendealer von der Straße. Doch was hat ihr eigenes Leben zu bieten? Das Ehedasein mit dem geistig wie körperlich meist abwesenden Jakob zeigt wenig Nähe, Gemeinsamkeiten oder gar Ziele, im Raum steht ein wie nebenbei hingeworfener Kinderwunsch, beruflich tritt Isabella auf der Stelle. Macht das Paar sich und den anderen nur etwas vor?

Lügen, ohne es zu wissen

Das Erich-Fromm-Zitat, das bei besagter Ausstellung fällt, bringt es auf den Punkt: „Was weiß ich schon von mir, wenn ich nicht weiß, dass das Bild, das ich von mir habe, zum größten Teil ein künstliches Produkt ist. Und dass die meisten Menschen lügen, ohne es zu wissen." Während sich Jakob zunehmend abkapselt, lässt sich Isabella mit jenem Dealer ein. Der reagiert am Ende mit Verachtung und Brutalität auf ihren – aus seiner Sicht – bürgerlichen Kosmos. Eine Zukunft mit Jakob zeichnet sich für Isabella – wie so vieles in dieser Geschichte – allenfalls diffus ab.

Filme in Schwarzweiß bieten dem Publikum die Möglichkeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Zugleich können sich Raum, Personen und Atmosphäre in eine graue Masse verwandeln. In „Die Habenichtse“, angelehnt an den gleichnamigen Roman von Katharina Hacker (Jahrgang 1967) von 2006, erfüllt diese Ästhetik beide Zwecke. Die Handlung konzentriert sich auf Isabella und Jakob, während im Roman auch die Menschen aus dem Londoner und Berliner Umfeld intensiver beleuchtet werden. Insbesondere Isabellas Perspektive nimmt breiten Raum ein.

Julia Jentsch als unsichere Frau

Grandios gespielt von Julia Jentsch, erleben wir eine unsichere Frau, die um sich herum Mauern einreißen will. Die zugleich aber auch rücksichtslos neue errichtet. Beide Extreme durchlebt sie mit Drogenhändler Jim. In ihrer Wohnung liefern sie sich nach einer Liebesnacht einen heftigen Showdown. Nicht nur, dass dieser kammerspielartige Exzess allein schauspielerisch ein Ereignis ist: Hier erreicht dieser oft unterkühlte und spröde Film seine höchste Betriebstemperatur.

Überhaupt ist es vor allem Isabella – von Jentsch in ihrem Drang nach Aufrichtigkeit gegenüber Jakob weitaus fordernder und energischer verkörpert als im Roman –, die Kopf und Herz für eine Handlung öffnet, deren Schlüssigkeit sich nicht auf Anhieb, aber immer noch leichter als in der mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Vorlage offenbart: in Letzterer überlagert die innere Leere der Figuren alles andere.

Regisseur Florian Hoffmeister (geboren 1970) ist es gelungen, den, zugespitzt gesagt, schwammigen Roman zu einer streckenweise packenden Beziehungsstudie zu verdichten, die am Ende sogar vergleichsweise versöhnlich ausfällt. Was bleibt, ist allerdings das Rätsel des Ungefähren.

 

Info: „Die Habenichtse“ (Deutschland 2016), ein Film von Florian Hoffmeister, mit Julia Jentsch, Sebastian Zimmler, Bibiana Beglau, Guy Burnet u.a. 103 Minuten. Ab sofort im Kino

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