Die große Karikaturistin Marie Marcks ist tot
Ganz gewiss hatte Marie Marcks recht, als sie einmal sagte: „Ich glaube, ich habe geholfen, dass es den Frauen heute etwas besser geht.“ Die Künstlerin und kompromisslose Feministin vom Jahrgang 1922 zeigte ihnen, dass sie nicht allein waren mit ihrem schwierigen Spagat zwischen Kindern und Beruf und Männern, die sich den lästigen Seiten des Familienlebens komplett entzogen. Denn so war das noch 1963, als die Graphikerin Marie Marcks anfing, Karikaturen zu zeichnen. Nun ist sie im Alter von 92 Jahren in Heidelberg gestorben, von scharfsinnigem Witz bis zuletzt.
Für die heute jungen Frauen muss das, was sie einmal in einem Interview zu ihrem 90. Geburtstag erzählte, wie ein böses Märchen aus längst vergangenen Zeiten klingen:
„Damals waren die Männer nur Sonntagsväter. Ich weiß noch, wie wütend ich war, als mein Mann einfach die Tür zu seinem Büro abschloss, um in Ruhe arbeiten zu können. Später bekam er eine Professur in Kassel und es war klar: Der Vater ist aus dem Haus, da kann die Mutter nicht auch noch weg. Also habe ich mich gar nicht erst um eine Festanstellung bemüht.“
Ihre fünf Kinder zog sie allein auf
Stattdessen ließ sich die in Berlin in einer Künstlerfamilie aufgewachsene Wahl-Heidelbergerin scheiden und zog ihre fünf Kinder alleine auf. Mit ihren gezeichneten Geschichten über die Familien- und Männerwelt von damals brachte sie die Frauen zum Lachen. Und lachen befreit! Doch sie war viel mehr als die Chronistin erschöpfter Frauen und chaotischen Familienlebens: Mit Bleistift und Buntstiften kämpfte sie gegen Alt- und Neu-Nazis und deren dumpfes Menschenbild. Sie engagierte sich gegen Atomwaffen und später auch gegen die sogenannte friedliche Nutzung der Atomkraft. Ihre Themen waren viele Jahrzehnte lang Ökologie, Frauenrechte und Abrüstung.
Marie Marcks war schon Anfang 40, als sie ihre wahre Bestimmung fand: Ihre ersten Karikaturen zeichnete sie für die Zeitschrift „Atomzeitalter“. Die „Süddeutsche Zeitung“ wurde auf sie aufmerksam und bald gehörte sie dort zu den Stamm-Karikaturisten. Einfach war das nicht für die Heidelbergerin im Zeitalter vor Fax-Geräten und Computern. Sie musste ihre Zeichnungen mit der Post nach München schicken, während die anderen Karikaturisten vor Ort saßen und deshalb aktueller sein konnten. 25 D-Mark gab es, „das Honorar war lumpig“.
Viele Jahre begleitete sie die vorwärts-Leser
Doch bald schon zeichnete sie auch für den „Spiegel“, den „stern“, die „Zeit“, für „Brigitte“, „Pardon“ und die „Titanic“. Auch „vorwärts“-Leser hat sie viele Jahre begleitet. Tausende von Karikaturen sind in ihrem langen Leben entstanden und oft blieb ihrer riesigen Fan-Gemeinde das Lachen im Halse stecken, weil ihr Humor so zornig sein konnte.
Die zierliche Frau mit den intensiven blauen Augen und den schneeweißen Haaren war eine Persönlichkeit, nach der man sich umdrehte, auch noch mit über 90 Jahren, als sie sich außer Haus nur noch mit Hilfe eines Rollators bewegen konnte. Jahrzehnte lang war sie als Künstlerin fast allein unter Männern, immer eine (wenn es sein musste durchaus ruppige) Kämpferin, immer eine Linke, immer auf der Seite der Schwächeren und das waren eben vor allem Frauen mit Kindern, ob berufstätig und überarbeitet oder zu Hause und abhängig von einem Ehemann.
Leicht war ihr Leben als Freiberuflerin mit fünf Kindern trotz all der Auszeichnungen, trotz der Ausstellungen rund um den Globus, trotz der vielen Bücher gewiss nicht. Das ahnten wohl auch die Frauen jeden Alters, die ihre treuesten Fans waren. Mit ihnen war Marie Marcks kompromisslos solidarisch.
(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.