Kultur

„Die Gentrifizierung bin ich“: Vom wahren Grund des Wohnungsmangels

Vom Gentrifizierer zum Gentrifizierungsopfer: In einem wilden Mix aus Reportage, Autobiografie und Satire wirft der Schweizer Filmemacher Thomas Haemmerli einen provokanten Blick auf eines der Reizthemen dieser Zeit. Unser Filmtipp
von ohne Autor · 19. Oktober 2018
Filmtipp: Die Gentrizierung bin ich
Filmtipp: Die Gentrizierung bin ich

Was sind das für Menschen, die gleich in mehreren Großstädten eine Wohnung kaufen und damit die Preise nach oben treiben? In „Die Gentrifizierung bin ich“ lernen wir einen kennen. Er entspricht allerdings nicht dem Klischee eines Investors, der nur wegen der Rendite zugreift. Es ist der aus Zürich stammende Journalist, Politaktivist und Regisseur von „Die Gentrifizierung bin ich“, Thomas Haemmerli. Das 1964 geborene Multitalent besitzt tatsächlich Wohnungen in Mexiko-Stadt, Tiflis und eben Zürich. Er könnte viele Geschichten darüber erzählen, wie seine Heimatstadt für Menschen mit kleinem oder mittlerem Einkommen nach diversen Stadtsanierungsrunden unerschwinglich geworden ist.

Wohraum, am Bedarf vorbei geplant

Doch sein Film dreht sich nicht allein um die sozialen Seiten der Verdrängung. Mit Wonne klamüsert er all die Verwerfungen, Widersprüche, Konfliktlinien und auch Leerstellen auseinander, die sich in den vergangenen Jahren bei den Debatten um das Thema Wohnen in Großstädten ergeben haben. Da wäre zum Beispiel der Aspekt Wohnungsknappheit. Am Beispiel der Schweiz macht Haemmerli deutlich, wie die Wohnungsbaupolitik und Architektur seit Jahrzehnten am Bedarf vorbei gehen. Warum ist die Nachfrage so gigantisch gestiegen? Und was kann man dagegen tun? Auch das weiß er pointiert zu erklären.

Dabei hilft ihm der Vergleich. Schließlich ist Haemmerli in verschiedenen Weltregionen zuhause. Wie begegnet man in Schwellenländern wie Mexiko oder Brasilien der Wohnraumverknappung und dem Immobilienboom? Was lässt sich von der Ex-Sowjetrepublik Georgien lernen? Die wechselnde Perspektive ist durchaus erhellend, selbst wenn vieles humoristisch überhöht und zugespitzt wird. Aber genau dieser subjektive und eklektische Blick, mit dem er immer wieder Bezugspunkte zu seinem beschaulichen Geburtsland herstellt, macht den Film aus.

Das Ganze hat einen ernsten Hintergrund. Seit Jahren erlebt die Schweiz erbitterte Diskussionen über das Thema Zuwanderung. Rechtsaußen-Politiker machen Migranten für den Wohnungsmangel verantwortlich. Haemmerli engagierte sich politisch gegen derlei Überfremdungskampagnen. Auch sein Film ist Teil dieses Engagements. Um die nationalkonservative Polemik als – wenn auch gefährlichen – Nonsens zu entlarven, zeigt er, worin die wahren Ursachen der Wohnungsnot liegen.

Schweizer Eigenheit

Er macht dafür eine schweizerische Eigenheit verantwortlich: die weit verbreitete Abneigung gegenüber Hochhäusern. Bieten Wolkenkratzer nicht viel mehr Raum zum Leben als ein Dreigeschosser? Auch das ist eine Lektion seiner Erfahrungen aus Südamerika: Schließlich wachsen in Sao Paulo nicht nur für Superreiche die Häuser in den Himmel.

Auch an dieser Stelle bietet der Film reichlich Angriffsfläche. Aber das ist genau seine Absicht. Im frühen Stadium der Entstehung ließ Haemmerli, den Schweizer Fernsehzuschauer unter anderem als Frankreich-Korrespondent des staatlichen Senders kennen, die Idee fallen, eine Dokumentation im klassischen Sinne zu drehen. Viel reizvoller erschien es ihm, das Thema unmittelbar mit seiner Person zu verknüpfen. Und die ist recht schillernd.

Sozialistisch inspiriert

Anfang der 80er-Jahre protestiert der sozialistisch inspirierte Spross einer wohlhabenden Anwaltsfamilie gegen ein gigantisches Neubauprojekt in einem Züricher Stadtumbau-Quartier. Wenig später zieht er dort selbst mit seiner linksalternativen WG ein. Es ist der Auftakt seiner Gentrifizierer-Karriere. Eines Tages erwirbt er lieber eine eigene Wohnung nur für sich. Die Bedürfnisse wandeln sich. Geld spielt keine Rolle. Dennoch verlor er vor ein paar Jahren sein angemietetes Büro im Herzen Zürichs.

So ist dieser Film auch eine selbstironische Nabelschau, die dafür wirbt, ein aufgeladenes Thema wie Gentrifizierung nicht in den üblichen Schemata zu denken, sondern seinen Horizont zu erweitern, selbst wenn sich an Haemmerlis Vorliebe für einen „architektonischen Brutalismus“ die Geister scheiden. Freilich lässt sich die privilegierte Perspektive des Protagonisten nicht immer in Humor auflösen. Doch das sollte einen nicht davon abhalten, sich mit seinen Argumenten zu beschäftigen.

„Die Gentrifizierung bin ich“ (Schweiz 2017), ein Film von Thomas Haemmerli, 99 Minuten

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