Die Frauen haben noch nicht ausgelernt, die Männer fangen grad erst an
Manche Feministinnen mögen sich die Haare raufen bei der Kritik, die die Autorin Iris Radisch am Feminismus übt: "Der Feminismus hat keine Antwort auf die Kinderfrage hinterlassen, das
Patriarchat die falsche." Wenn sich jedoch die Propagandisten eine Schrift zur Rückkehr der Frau zu den drei K's erwarten, haben sie nicht mit Iris Radisch gerechnet. Sie ruht sich nicht auf alten
Standards aus, die die neupopuläre Hausfrauenehe oder eine altfeministisches Leben ohne Kinder à la Simone de Beauvoir proklamieren.
Mit einem direkten Zugang zu den Alltagsproblemen allein erziehender Frauen oder Mütter, die sich in einer als gleichberechtigt definierten Partnerschaft befinden, beschreibt die Autorin die
Tücken des konzeptlosen Familiendaseins. Radischs Hauptkritik wendet sich nur indirekt an die Frauen selbst. Ihr zufolge sind es vielmehr die Männer, die das Problem darstellen. "Die Kernfamilie
ist weiblich. Die Männer machen Krieg und Karriere und verlassen ihre Frauen und Kinder, wenn die große Geschichte, eine interessante Laufbahn oder ein schönes Kindermädchen sie lockt oder
verschlingt."
Formulierungen vom Feinsten
Sprachgewandt ist Iris Radisch, die für die Wochenzeitung ZEIT schreibt und diverse Literatur-Sendungen wie "Das literarische Quartett" im ZDF oder "Bücher, Bücher" des Hessischen Rundfunks
(mit)moderierte allemal. Auch vor Polemik scheut sie sich nicht, wenn es darum geht, zu zeigen, was die Öffentlichkeit von selbstständigen Frauen denkt: "Wer hat sich seinem Herrn gleichgemacht?
Wer hat plötzlich Hosen an und ein eigens Konto bei der Deutschen Bank? Wer denkt wie ein Mann, also an sich selbst zuerst? Wer missachtet die von Gott gestiftete Arbeitsteilung? Natürlich wir. Die
Frauen." Und kommentiert sarkastisch das Entstehen der postmodernen Welt: "Die Männer haben hart gekämpft."
Was Radisch von Radikalfeministinnen unterscheidet, wird sehr schnell deutlich. Sie versucht nicht, das Modell der "Familie", Vater, Mutter, Kind(er) zu rekonstruieren, sondern neu zu
definieren und für eine bürgerliche Gesellschaft als willkommene Lebensform zu erklären. Und auch hier ist der einzige Haken an der Vision: Nur Menschen mit ausreichendem Einkommen werden es sich
leisten können, das Familienmodell von Radisch zu leben. Ein Modell im eigentlichen Sinn entwirft sie auch gar nicht. Sie verlangt nur nach mehr Zeit - und das in einer Welt der Flexibilität und
Ungebundenheit, in der der Job alles zählt. Dass sie hier gegen kapitalistische Strukturen auf die Barrikaden geht, wird allerdings auch so deutlich. Denn noch immer wird Geld die alles
entscheidende Frage sein, wenn das Einkommen möglicher 2/3-Stellen beider Partner zum Leben einer Familie reichen soll.
Biologie ist nicht Schicksal
Radisch möchte ein Welt mit Kindern, aber sieht keinen Zwang im Leben einer Frau, Kinder zu bekommen: "Es gibt keine moralische Verpflichtung zu einem der naturgemäßen Möglichkeiten
entsprechenden Leben." Überhaupt lässt Radisch sich Raum und Zeit, den neuen Biologismus einer typisch deutschen sozialen Debatte - Wer bekommt wann und warum (keine) Kinder - zu analysieren.
"Freundlich unterstützt wird die junge Frau, die sich am liebsten auf das imponierende, scheinbar überlegene Alphatier verlässt, von den Apologeten des neuen Biologismus. Die Sehnsucht nach dem
starken Mann, dem Ernährer und Seelenhirten, das Aufsehen- und Schwachseinwollen, das Fürsorgeverhalten und noch einige andere urweibliche Eigenschaften mehr seien den Frauen, so heißt es, von der
Evolution in die Wiege gelegt worden."
Die Meinung der Autorin muss nicht aus solchen Charakterisierungen der zweigeschlechtlichen Lebensrealität herausgefiltert werden, sie sagt klar und deutlich, was sie davon hält: "Das ist vor
allem großer Unsinn. Denn es gibt keine Naturgeschichte des Sozialen." Und zeigt dafür anschauliche Beispiele, die trotz aller Ernsthaftigkeit des Themas zum Schmunzeln anregen: "Jeder weiß, dass
Gefühle genauso zeit- und gesellschaftsabhängig sind wie Anzugmoden oder Essgewohnheiten." Sie geht noch weiter und konstatiert: "Mütterlichkeit ist genauso wie Väterlichkeit keine
selbstverständliche, sondern eine erst zu entwickelnde, vielen Irritationen und Behinderungen ausgelieferte Eigenschaft. Ein Kind bekommt man schnell, mütterliche Bindungen entstehen langsam." Dass
diese entstehen dürfen, das ist das Anliegen von Radisch. Die Mutter von drei Töchtern befürwortet ein Leben mit Kindern, aber nicht länger zu Lasten der Frauen.
Julia Kleinschmidt
Iris Radisch: Die Schule der Frauen. Wie wir die Familie neu erfinden. Verlag: München DVA 2007, ISBN: 978-3-421-04258-3, 14,95 Euro.