Kultur

„Die Flügel der Menschen“: Ein guter Dieb gegen die Oligarchen

War früher wirklich alles besser? In „Die Flügel der Menschen“ kämpft ein Außenseiter gegen den moralischen Sumpf seiner zentralasiatischen Heimat. Ein lakonisch inszeniertes Drama mit leisem Humor und eindringlichen Bildern.
von ohne Autor · 28. Dezember 2017
„Zentaur“ liebt die Freiheit. Im Film „Die Flügel der Menschen“ kämpft er gegen gierige Oligarchen.
„Zentaur“ liebt die Freiheit. Im Film „Die Flügel der Menschen“ kämpft er gegen gierige Oligarchen.

Manch einer, den die Realität abstößt, flüchtet sich in die Vergangenheit. So ergeht es auch einem ehemaligen Filmvorführer in einer abgelegenen Region Kirgisistans. Seit Menschengedenken wird die frühere Sowjetrepublik für die Verbundenheit von Mensch und Pferd gepriesen, doch den Oligarchen von heute dienen sie nur als Wertanlagen und Statussymbole. Für jenen Filmvorführer und Pferdenarr, den sie im Dorf nur „Zentaur“ nennen, ist diese Haltung untragbar. In den Ställen der Rennpferde offenbart sich ihm der Zerfall der Gesellschaft, weg von der Gemeinschaft und hin zur Profitsucht. Alte Traditionen und Überlieferungen werden bedeutungslos. So wird er zum Pferdedieb. Dabei denkt er nicht ans Geld, sondern an die Freiheit der edlen Vierbeiner.

Missgunst und Bespitzelung

Nach dem auf internationalen Festivals ausgezeichneten „Dieb des Lichts“ (2011) erzählt der kirgisische Regisseur Aktan Arym Kubat erneut vom verzweifelten Versuch eines Einzelnen, gegen scheinbar übermächtige Gegner aufzubegehren. Neben den besagten Oligarchen, die nicht nur die Polizei nach ihrer Pfeife tanzen lassen, ist dies vor allem die gesellschaftliche Stimmung. Missgunst und gegenseitiges Bespitzeln breiten sich aus. Vor allem, seitdem scheinbar sittenstrenge Islamisten im Dorf an Einfluss gewinnen.

So macht der Dorftratsch aus einem harmlosen Treffen Zentaurs mit der einsamen Witwe Scharapat ein schändliches Techtelmechtel. In den Augen der Öffentlichkeit ein weiterer Minuspunkt für den Mann, der einst mit Bollywood-Schnulzen willkommene Ablenkung in die ländliche Einöde brachte. Irgendwann wurde aus dem Kino eine Moschee. Und aus dem angesehenen Herren der Rollen ein Sonderling, der ständig eine Filmdose mit sich herumschleppt.

Raum für alltägliche Situationen

Als Zentaur nach den ersten Pferdebefreiungsaktionen geschnappt wird, begegnen ihm die Menschen, die über sein Schicksal zu befinden haben, noch mit Milde. Schließlich ist er mit einem der Bonzen verwandt. In dem Moment, als er die Islamisten der Lächerlichkeit preisgibt, ist es mit der Nachsicht allerdings vorbei. Nun wird der Vater eines kleinen Sohnes aus der fragwürdigen Dorfgemeinschaft ausgestoßen. Um erneut ein Zeichen des Protestes zu setzen, setzt er alles aufs Spiel.


„Der Flügel der Menschen“ lebt von einem ruhigen Erzählfluss und langen Einstellungen. Sämtliche Sinne öffnen sich für den Alltag und die Mythen am Rande des imposanten Alatau-Gebirges. Dieses epische Element hinter den Bildern scheinbar unberührter Natur kehrt Kubat, der wiederholt auch die Hauptrolle übernommen hat, allerdings nicht durch inszenierte Opulenz hervor. Vielmehr gibt er alltäglichen Situationen breiten Raum, zumeist in natürlichem Licht abgefilmt.

Drama mit märchenhaften Zügen

Immer wieder öffnet sich dabei ein Türchen in die sagenumwobene Vergangenheit des zentralasiatischen Landes. Zum Beispiel, wenn Zentaur mit seinem Söhnchen abends auf dem Teppich liegt und Überlieferungen aus der Nomadenzeit zum Besten gibt. Aber auch die jüngere Geschichte wird berührt. Etwa, wenn Scharapat beim Tee aus ihrem Leben berichtet. Dabei wird ein Schicksal lebendig, wie es nicht nur für diesen Teil der ehemaligen Sowjetunion typisch ist.

Bei allem Realismus trägt dieses so lakonisch inszenierte Drama aber auch märchenhafte Züge. Das gilt nicht zuletzt für den ebenso freakigen wie idealistisch-romantischen Zentaur, den es, ähnlich wie Don Quichotte, immer wieder wild entschlossen zum Kampf drängt. Am Beispiel Kirgisistans zeigt Kubat, wie sich eine Gesellschaft von ihren Wurzeln, also ihrer Identität entfernt und jene bestraft, die sich diesem Weg widersetzen. Man kann diesen Blick auf das kulturelle Erbe eines Landes als naiv empfinden, doch die gleichnishafte Zuspitzung dieser Geschichte lässt einen daran denken, wie andere Länder und Gesellschaften mit Sonderlingen umgehen und welche Werte wirklich gelten (sollten).

„Der Flügel der Menschen“ (Kirgisistan/Niederlande/Deutschland/Frankreich/Japan 2017), ein Film von Aktan Arym Kubat, mit Aktan Arym Kubat, Nuraly Tursunkojoev, Zarema Asanalieva u.a., 89 Minuten, Jetzt im Kino

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