Kultur

Die Familie Bin Laden

von Edda Neumann · 2. Oktober 2008
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Die Bin Ladens pflegten enge Beziehungen zum saudischen Königshaus sowie zum amerikanischen und europäischen Jetset. Nach dem 11. September fielen sie weltweit in Ungnade. Steve Coll hat jahrelang im Umfeld des Clans recherchiert. Er rekonstruiert den Aufstieg der Bin Ladens zu einer der reichsten und einflussreichsten Familien in der arabischen Welt. Und er macht nachvollziehbar, warum ausgerechnet aus deren Mitte einer der berüchtigten Terroristen hervorging.

Neben zahlreichen Details zur Familiengeschichte werden die Widersprüche des Lebens in Saudi-Arabien sichtbar: von den Traditionen geprägte Lebensverhältnisse auf der einen, Öl-Reichtum, rasanter Wandel, Offenheit und Verlockungen der westlichen Welt auf der anderen Seite. Zusätzlich bietet Colls umfassende Darstellung neue Erkenntnisse über die Person Osama Bin Ladens.

Woher kommt Osama Bin Laden?

Das Ergebnis seiner Recherchen ist ein 750 Seiten starker Band. Sein Familienporträt beginnt mit Mohammed Bin Ladens bescheidenen Anfängen in Jemen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In Saudi-Arabien gelang dem 54-fachen Familienvater während des Ölbooms ein glänzender Aufstieg vom Hafenarbeiter und Maurer zum Bauherren vieler Großprojekte. Er tätigte umfangreiche Investitionen in den USA und knüpfte enge Beziehungen zu wichtigen Leuten im Ausland. So drang die Familie bis an die Spitze vor.

Das Leben von Osama Bin Laden verlief gänzlich anders als das seiner 24 Brüder und 29 Schwestern. Seine Mutter stammte aus einfachen Verhältnissen. Als Fünfzehnjährige heiratete sie Mohammed Bin Laden, der aber nach einem Jahr kein Interesse mehr an ihr hatte. Er sorgte dafür, dass sie einen seiner Angestellten ehelichte.

Osama war nur ein mittelmäßiger Schüler und auch bei seinem Vater nur mäßig gelitten. Dafür zeichnete ihn Ergeiz aus: Sport, Fitness und Koranlesen waren ihm wichtig. Später bestimmten Askese und Reinheit seine fanatische Ideologie. Nach Osamas Radikalisierung und den Angriffen auf die USA distanzierte sich die saudische Regierung von ihm und entzog ihm die Staatsbürgerschaft. Auch seine Familie sagte sich los.

Steve Coll schildert die Geschichte der Familie Bin Laden im wechselvollen Bündnis zwischen Saudi-Arabien und Amerika, das von Gier und Geheimhaltung geprägt und letztlich für beide Seiten enttäuschend war. Als Osama sich öffentlich zum internationalen Terrorismus bekannte, hatte sich die Familie viel stärker in den USA engagiert, als bisher angenommen. Osamas Geschwister besaßen dort Einkaufszentren, Mietshäuser, Eigentumswohnanlagen, luxuriöse Landsitze, privatisierte Gefängnisse, einen Flughafen und Aktien. Sie besuchten US-Universitäten, pflegten Freundschaften und Geschäftsbeziehungen zu Amerikanern und bemühten sich um amerikanische Pässe für ihre Kinder.

Zwischen Tradition und Moderne

Steve Colls Recherchen zeigen, wie sich die Familiengeschichte und das Leben zwischen den gegensätzlichen Kulturen auf Osamas spätere Radikalisierung ausgewirkten. Die widersprüchlichen Lebensverhältnisse im Hinblick auf Religion und Moderne prägten die Ideologie Osamas entscheidend. Der Werdegang dieser Familie zu einer der einflussreichsten Clans im Land ist zugleich ein Beispiel für die Zerrissenheit der arabischen Welt.

Entstanden ist ein sehr informatives Buch, das erstmals mit einem differenzierten Blick alle Fakten zusammenführt und Erklärungsansätze bietet. Osama Bin Laden erscheint in diesem Zusammenhang nicht als das große Übel der Welt, das aus dem Nichts aufgetaucht ist. Vielmehr zeigt Steve Coll, dass es eine folgenschwere Entwicklung war, die ihn zu dem machte, was er heute ist. Ein lesenswertes Buch!

Steve Col: Die Bin Ladens, Eine arabische Familie, DVA 2008, 750 Seiten, 24,95 Euro, ISBN-13: 978-3421043542

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