Kultur

Die Bundeskanzlerin in Bayreuth

von Matthias Dohmen · 28. August 2013

Die Bücher über die Bundeskanzlerin werden nicht alle. Auch der Journalist Ralph Bollmann, ehedem taz und heute „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“, reiht sich mit „Die Deutsche Angela Merkel und wir“ hier ein. Und er lässt aufhorchen, denn er differenziert – als habe es eine Wiedervereinigung nie gegeben – zwischen der „Ostdeutschen“ Merkel und „uns Westdeutschen“.

Der Zungenschlag hat Methode: Gleich im einleitenden Kapitel spricht der Autor davon, die Bundeskanzlerin, „die bis zum Alter von 35 Jahren in einer für Westdeutsche sehr fremden Welt lebte“, sei „eine Einwanderin im eigenen Land“. Gegen Ende des Buches gibt er noch einen drauf und bezeichnet die CDU-Vorsitzende als „einzige im Ostblock sozialisierte Politikerin an der Spitze eines mehrheitlich westeuropäischen Landes“. Was heißt hier mehrheitlich? Und liegt Deutschland nicht seit eh und je im Zentrum des Kontinents?

Für die Wagner-Festspiele, gegen Veränderungen

In einem Punkt allerdings muss man Bollmann zustimmen: Merkel zelebriert ein Übermaß an Zustimmung zu den Wagner-Operngroßveranstaltungen: „Sie ist die erste Bundeskanzlerin, die zur Eröffnungspremiere der Bayreuther Festspiele erscheint.“ Keiner ihrer Vorgänger habe das „historisch belastete“ Gelände betreten ­– bis auf Gerhard Schröder, der allerdings „seinen japanischen Amtskollegen zu einer Repertoirevorstellung begleitete“.

Bollmann wiederholt die These, Merkels unbestritten hohe Sympathiewerte seien dem Umstand geschuldet, „dass sie den Deutschen alle Zumutungen vom Leib hält“, mehr noch sie schirme sie ab gegen „jede Art von Veränderung“. Jede Art? Die monströse Summe an Verbindlichkeiten, für welche die Bundesrepublik im Falle des Falles eines Zusammenbruchs des europäischen Finanzsystems gerade zu stehen hat, wäre schon das Werk der gegenwärtigen Bundesregierung.

Mit Mathe gegen Merkel

Gegen Ende des gut 200 Seiten starken Buches verteilt der Autor Trostpflaster für Bundesbürger in Ost und West, die ihr Heil nicht in der Wiederwahl Merkels sehen. Die Mathematik spreche gegen die gegenwärtige Kanzlerin: „Nach zwei Wahlperioden ist die politische Energie eines deutschen Spitzenpolitikers in der Regel verbraucht.“ Und: Die Deutschen wünschten sich für 2013 „eine Neuauflage der großen Koalition“.

Den Beweis für diese These bleibt Bollmann allerdings schuldig, und so kann man mit Fug und Recht feststellen, dass hier mal wieder ein „Insider“ – und ein solcher gilt er ja als Korrespondent in der Bundeshauptstadt – das Gras wachsen hört. Oder auch nicht. Für Allgemeinplätze ist er jedenfalls gut: Auf der letzten Seite „erklärt“ er das Scheitern der Weimarer Republik mit dem Zerbrechen der „Sehnsucht nach großen Lösungen“. So kann man es auch sehen.

Ralph Bollmann, Die Deutsche Angela Merkel und wir. Klett-Cotta, Stuttgart 2013, 224 Seiten, 17,95 Euro. ISBN 978-3-608-94750-2

 

 

Autor*in
Matthias Dohmen

Matthias Dohmen hat Germanistik, Geschichte, Politologie und Philosophie studiert, arbeitet als freier Journalist und ist 2015 mit einer Arbeit über die Rolle der Historiker West und Ost im "deutschen Geschichtskrieg" promoviert worden.

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