Kultur

„Die Blumen von gestern“: Seltsame Komödie über den Holocaust

Ein deutscher Historiker, seine französische Praktikantin und eine geheimnisvolle Verbindung: „Die Blumen von gestern“ bemüht sich um einen unverkrampften Blick auf die Traumata von Kriegsenkeln.
von ohne Autor · 13. Januar 2017
Szene aus „Die Blumen von gestern“
Szene aus „Die Blumen von gestern“

Nicht weniger als einen neuen, befreienden Umgang mit den Wunden des Holocaust hatte Regisseur und Drehbuchautor Chris Kraus bei der Vorbereitung seines neuen Films im Sinn. Allzu moralisch überhöht und ritualisiert erscheint ihm das offizielle Gedenken. Umso wichtiger war es ihm, in diesem Mix aus Komödie, Drama und Liebesfilm vom Unbewältigten zu erzählen, das in vielen Opfer- und Täterfamilien bis heute fortlebe. Und das möglichst respektlos und komisch.

Unabhängig von seinem zweifelhaften Befund zur Gedenkkultur: Der Ansatz einer Respektlosigkeit auf Biegen und Brechen verpufft. Was schade ist, denn die Geschichte um einen deutschen Holocaustforscher und dessen französische Praktikantin hätte Potenzial für einen großen komödiantischen Stoff gehabt. Im übertragenen Sinne ist es auch Kraus' Geschichte. In Archiven und Forschungseinrichtungen hat er die NS-Vergangenheit seiner Familie erforscht. Dort traf er auf Hinterbliebene von SS-Schergen und KZ-Häftlingen, die dort ebenfalls Spurensuche betrieben. Wenn sich Menschen aus beiden Gruppen begegneten, habe er mitunter absurde Dialoge verfolgt, aber auch eine überraschende Leichtigkeit gespürt.

Idealist und Kotzbrocken

In seiner unbescheiden betitelten „Etüde der Leichtigkeit“ greift Kraus diese Erfahrungen auf und spinnt die zwischenmenschliche Ebene noch ein bisschen weiter. Der Historiker Totila „Toto“ Blumen (Lars Eidinger) soll einen Kongress zum Thema Auschwitz vorbereiten. Eine Aufgabe, die seine permanente Sinnkrise noch verschärft: Während sein Chef Unternehmen als Sponsoren mit ins Boot holen will, verteidigt er mit idealistischem Pathos die Unabhängigkeit der Wissenschaft. Nicht weniger brachial sind die Wutausbrüche des verklemmten Kotzbrockens. Nach einer Prügelei im Büro wird ihm zur Läuterung eine junge Praktikantin aus Frankreich (Adèle Haenel) an die Seite gestellt. Gemeinsam mit Zazie soll er Zeitzeugen auftreiben und überreden, bei dem Kongress aus ihrem Leben zu berichten.

Muffeliger Misanthrop trifft auf exaltierte Quasselstrippe: Unterschiedlicher könnte das Gespann nicht sein. So lässt der erste Eklat während der Recherchetour quer durch Europa nicht lange auf sich warten. Und doch ahnt man schnell, dass es zwischen den beiden nicht lange bei der lupenreinen Wissenschaft bleibt. Allerdings ist es kompliziert: Nach und nach kommen die Verletzungen der beiden ans Licht. Toto stammt aus einer Täterfamilie. Sein Motto: Forschen, forschen, forschen und nicht mehr an den Makel denken. Dumm nur, dass ihn das Leiden an der Vergangenheit impotent gemacht hat und seine untreue Ehefrau (Hannah Herzsprung) von all dem nichts mehr hören will. „Kann diese Traumata-Scheiße nicht einfach mal aufhören?“, ätzt sie. Auch Zazies Engagement in dem ihr eigentlich so verhassten Deutschland hat persönliche Gründe: Ihre jüdische Großmutter wurde in Auschwitz ermordet. Hatte Totos Großvater damit etwas zu tun? Eben das will sie herausfinden.

Krawall statt Komik

Wie gesagt: Hier geht es um einen Stoff, der sich, gerade wegen des immensen psychologischen Ballastes, großartig als Komödie über die Lockerung emotionaler und moralischer Schranken inszenieren ließe. Stattdessen erlebt man zwei Stunden lang eine Abfolge von Szenen, die krawallig, vulgär oder absurd, aber keinesfalls komisch sind. Anstatt Figuren und Ambiente zum Schwingen zu bringen, ist der Gesamteindruck bleiern bis fade. Toto und Zazie erleben – bis hin zur sehnsüchtig erwarteten Stunde der Wahrheit – miteinander einige Grenz- und Schlüsselsituationen. Meist sind sie allerdings symbolisch überfrachtet, anstatt wirklich zu berühren. Von Leichtigkeit ist wenig zu spüren. Auch die Regieleistung wirft Fragen auf: Eidingers Interpretation des unsicheren Menschenfeindes wirkt seltsam ausgebremst. Umso krasser tobt sich Adèle Haenel als nicht minder traumatisierte Temperamentsnudel Zazie aus, verleiht ihr mit der Zeit allerdings unerwartete und berührende Nuancen.

Ein Lichtblick ist Sigrid Marquardt als zynische Holocaustüberlebende, die die Handlung immer wieder erdet. „Warum soll ich mit Ihnen reden, Sie haben ja keinen Humor“, fährt sie Toto an. Es ist wie eine Mahnung an Kraus. Sein Film ist keineswegs der große Durchbruch bei der Aufarbeitung der NS-Zeit, sondern zeugt gerade auf dem Gebiet der Komik über weite Strecken mehr von einer übertriebenen Ambition als von deren souveräner Umsetzung. Das zeigt, wie schwer es ihm offenbar gefallen ist, dieses Thema mit jener Lockerheit anzugehen, die er für sich in Anspruch nimmt.

Info:

„Die Blumen von gestern“ (Deutschland/Österreich 2016), ein Film von Chris Kraus, mit Lars Eidinger, Adèle Haenel, Hannah Herzsprung, Jan Josef Liefers, Sigrid Marquardt u.a., 125 Minuten

Jetzt im Kino

0 Kommentare
Noch keine Kommentare