Sie gehörten verschiedenen Generationen an, hatten unterschiedliche politische Ansichten und waren Teil von sich gegenseitig bekämpfenden Parteien der Arbeiterbewegung. Doch die Archivare haben eines gemeinsam: ihr Engagement für das in Akten, Nachlässen und Veröffentlichungen verkörperte Erbe der Arbeiterbewegung.
Männerdomäne Archiv
In Kooperation zwischen dem Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn und dem Förderkreis Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung e.V. in Berlin entstand ein Buch, das in 60 kurzen Biographien Archivare und Bibliothekare der Arbeiterbewegung im deutschsprachigen Raum vorstellt. Es erinnert an Menschen, deren Namen oft nur einem sehr kleinen Kreis von Spezialisten bekannt sind. Der Leser bekommt Einblick in den Alltag der Sammler, ihre Leidenschaft, ihre Ziele und Methoden.
In den Beiträgen werden neben bekannten Persönlichkeiten wie Theo Pinkus, Eduard Bernstein, Julius Motteler, Richard Müller, Max Oppenheimer und Fritz Hülser auch Personen vorgestellt, wie der erste und meistens im mehr Verborgenen arbeitende Bibliograph und Verleger Emil Ottocar Weller. Dabei wird deutlich, dass die tragenden Sammler der Einrichtungen der Arbeiterbewegung meist Männer sind. Vier Frauen sind unter den 60 Beschrieben. Eine von ihnen ist Olga Konstantinowna Senekina, die Hüterin eines der größten Archivschätze, der literarischen Teilnachlässe von Marx und Engels.
Kulturgeschichte der Arbeiterbewegung
Die Archivare der Arbeiterbewegung und ihre Sammlungen sind ein untrennbarer Bestandteil der Kulturgeschichte der Arbeiterbewegung, das macht der Band deutlich. Die Fülle an Informationen und die ansprechende Präsentation lassen erahnen, wie viel Arbeit und Mühe die beiden Herausgeber, Günter Benser und Michael Schneider, die AutorInnen eingebracht haben. Gleiches gilt für die wissenschaftsorganisatorische und redaktionelle Arbeit von Dagmar Goldbeck und Sabine Kneib.
Der Band ist aber mehr als nur eine Sammlung von Bibliothekaren aus Ost und West. Er ist eine spannend zu lesende Geschichte verschiedener Archive und er zeigt Lücken und blinden Flecken in der Forschung zur Geschichte der Arbeiterbewegung auf. Die Beiträge sind alphabetisch geordnet, ein sympathisches Ordnungsprinzip, das keine Hierarchisierung zulässt. Ein umfangreiches Personenregister schließt das Werk ab. Was leider fehlt, ist ein Verzeichnis der AutorInnen der einzelnen Beiträge. Eine Bereicherung für den Band wäre auch eine Liste der dargestellten Archive, inklusive der Adressen der heute noch bestehenden.
Günter Benser/Michael Schneider (Hrsg.): "Bewahren - Verbreiten - Aufklären: Archivare, Bibliothekare und Sammler der Quellen der deutschsprachigen Arbeiterbewegung"; Bonn/Bad Godesberg: Friedrich-Ebert-Stiftung 2009, 376 Seiten, kostenlos zu bestellen bei archiv.auskunft@fes.de
von Gisela Notz ist aktuell erschienen: "Kalender 2011. Wegbereiterinnen IX", Pellens Verlag, Bonn, 2010, 13,50 Euro
ist Historikerin und war bis 2007 wissenschaftliche Referentin im Historischen Forschungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung und Lehrbeauftragte an vd. Universitäten. Sie lebt und arbeitet freiberuflich in Berlin und gibt seit 2003 den Kalender „Wegbereiterinnen“ mit 12 Frauenbiografien der emanzipatorischen Bewegungen heraus.