"Jugendliche lesen ihn der Spannung wegen; Erwachsenen kehren zu ihm zurück, weil sie hinter der Spannung etwas Tiefes vermuten; und Literaturwissenschaftler zitieren ihn regelmäßig, wenn es
gilt, dem Beginn der Moderne einen Namen zu geben", heißt es im Vorwort zur neuen Biografie über Edgar Allan Poe (1809-1849). Seiner hohen Wertschätzung außerhalb Amerikas stünde die Ablehnung im
eigenen Land gegenüber. Hans-Dieter Gelfert beantwortet die Frage, ob das in "Poes Persönlichkeit, in der amerikanischen Mentalität oder in der Diskrepanz zwischen beiden begründet liegt".
Der Virtuose des Grauens
Edgar Allan Poe gilt "als der Erfinder der Detektivgeschichte, als erster Theoretiker der Kurzgeschichte, als Virtuose des Grauens, als Ahnherr der phantastischen Literatur, als Initiator
der "l'art pour l'art"-Ästhetik und als erster "poète maudit" (dt. verfemter Dichter). Selbst die Science Fiction betrachtet ihn als ihren Begründer. Er zählt zu den Erfindern des Absurden in der
Literatur.
Auch wenn man jede der "Zuschreibungen relativieren müsse" ergäben sie zusammen doch "ein zutreffendes Bild seiner Wirkungskraft", so Gelfert. Poes Werk allerdings sei viel facettenreicher.
Detektivisches fände sich in nur sechs/sieben seiner mehr als 70 Geschichten, Horror mache nicht mehr als ein Sechstel aus und zu Lebzeiten seien nicht mehr als 50 Gedichte veröffentlicht worden.
Auch stünde die geringe Anzahl seiner theoretischen Arbeiten "in umgekehrtem Verhältnis zu ihrer starken Wirkung". Er schrieb hauptsächlich Satiren und grotesk-komische Erzählungen, die außer bei
Poe-Kennern, weitgehend unbekannt seien. Gelfert geht all dem auf den Grund. Er bringt dem Leser den Dichter von innen her nahe, lässt Poe selbst zu Wort kommen und zitiert andere über ihn. Er
analysiert die Meisterstücke sucht nach Vorbildern und Gleichgesinnten, findet Parallelen zu Nietzsche.
Die Höhen und die Tiefen
Das Werk des "unamerikanischsten und dennoch wirkungsmächtigsten unter dem amerikanischen Klassikern" erklärt Gelfert aus dessen Lebensumständen heraus. Schon zu Lebzeiten erwarb sich Edgar
Allan Poe den Ruf eines genialen Schriftstellers. Und doch lebte er in bitterer Armut. Er durchschritt Höhen und Tiefen: Von den Gipfeln des Erfolgs fiel er immer wieder in Alkoholexzesse und
Depressionen. Gelfert spricht von zwei Polen des Lebens des Edgar Allan Poe, die sich mit zwei Titeln seiner Geschichten umschreiben lassen "Die Macht der Worte" und der Kobold des Perversen".
"Das Widerspiel zwischen Macht des Geistes und dem Geist des Perversen scheint Poes ganzes Leben beherrscht zu haben; denn auf der einen Seite suchte er immer wieder nach einer machtvollen
Position im Literaturbetrieb, während ihn auf der anderen der 'Kobold des Perversen' dazu trieb sich immer wieder zu Fall zu bringen."
Der Malstrom, der im Untertitel genannt wird, bezeichnet jenen Abgrund, um den Poe kreiste, den er in seinem Werk aber auch zu erkunden suchte. Jener bedeute einerseits Gefahr, verführe
aber auch dazu "sich an den Rand oder darüber hinaus zu wagen "Dieser Versuchung ist Poe in seinen Leben oft genug erlegen. Als Künstler aber hat er die Grenzüberschreitung dazu genutzt, sich in
eine terra incognita hinauszuwagen." Die beschreibt Gelfert im Schlusskapitel.
Der Biografie voran stellt er einen Annäherungsversuch an Poe. Er macht den Leser mit dem Amerika zu Poes Zeiten bekannt und legt einen irritierenden Kern in dessen Werk frei, der Neugierde
weckt. Sodann nimmt er Leben und Werk unter die Lupe, versucht hinter das Geheimnis des einzigartigen Edgar Alla Poe zu kommen, entdeckt Ungewöhnliches und manche Ungereimtheit. Für diesen
außergewöhnlich anderen Blick und die akribische Suche nach Zeitzeugen und -dokumenten gebührt ihm Dank. Eine Würdigung des Dichters rundet das Bild ab. Informationen zum literarischen Umfeld,
eine Zeittafel und ein Werksverzeichnis im Anhang vervollständigen die Biografie
Hans-Dieter Gelfert: Edgar Allan Poe. Am Rande des Malstroms. Biographie, Verlag C.H. Beck, München 2008, 249 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-406-57709-3
Ein wahres Schmuckstück
Die brandneue im Aufbau Verlag erschienene Sammlung von Edgar Allan Poes Kurzgeschichten enthält die wichtigsten Klassiker: seine Meisterstücke, mit denen er die Genres Krimi, Science Fiction und Horrorgeschichten schuf.
- Der Mann in der Menge
- Der schwarze Kater
- Das verräterische Herz
- Der Doppelmord in der Rue Morgue
- Das Geheimnis der Marie Roget
- Der entwendete Brief
- Grube und Pendel
- Eine Flaschenpost
- Im Malstrom
- Die Maske des roten Todes
- Der Untergang des Hauses Esher
"Das Unheimliche, das Nachtstück, der Alptraum, die Nervenkrise, die Flucht ins Jenseits des Grabes, das Kriminelle, das Leben voll magischer Rätsel: all diese Züge prägen das Werk des großen
amerikanischen Erzählers Edgar Allan Poe" macht der Klappentext neugierig. Nicht von ungefähr nennt man ihn den Begründer der literarischen Moderne. Der Jubiläumsband ist ein wahres
Liebhaberstück mit Leinen-Einband und durchsichtigem Plastik-Schutzumschlag. Ein Muss für Poe-Kenner und solche, die es werden wollen.
Edgar Allan Poe. Die schönsten Erzählungen, Ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Christina Salmen, Aufbau Verlag, Berlin 2008, 318 Seiten, 14,95 Euro, ISBN
978-3-351-03249-4