„Die Agentin“: Wie eine Frau versucht, dem Mossad den Rücken zu kehren
Es genügen wenige Augenblicke, um zu erkennen, dass Rachel (Diane Kruger) keine gewöhnliche Agentin ist. Mit kühler Präzision befördert sie einen unfreiwilligen Zeugen ins Jenseits, nachdem sie in einer iranischen Elektronikfirma eine Spionage-Software installiert hat. Doch anstatt sich danach rasch aus dem Staub zu machen, streichelt sie dem Sterbenden die Wangen. Aus dieser Handlung spricht ein Bewusstseinswandel, der immer mehr von ihr Besitz ergreift.
Für den Mossad in der Islamischen Republik
Dass Rachel im Auftrag des israelischen Geheimdienstes in der Islamischen Republik unterwegs ist, bedeutet eigentlich einen Karrieresprung. Jahrelang hat sie sich anderswo bei gefährlichen Aufträgen bewährt. Zufällig war sie während eines längeren Aufenthaltes in Israel in die Geheimdiensttätigkeit hineingestolpert. In der Hoffnung darauf, endlich eine Heimat gefunden zu haben. Doch diese Heimat ist für Rachel zu eng geworden.
Nicht erst seit der Ankunft in Teheran nagen Zweifel an der jungen Frau. Zweifel an einem Dasein, das ihr wenig Entscheidungsfreiheit lässt. Ständig ist sie fremdbestimmt. Und lässt sich mit der Ansage ihres Kontaktmannes Thomas (Martin Freeman), man sei nun einmal im Krieg, wirklich jede tödliche Aktion und Manipulation rechtfertigen? Die Engländerin begibt sich auf einen riskanten Weg: Schließlich lässt der Mossad eine Geheimnisträgerin nicht einfach so ziehen.
Verwirrende Erzählweise
Ein Jahr lang war Rachel abgetaucht. Durch einen unerwarteten Anruf erfährt Thomas, dass sie ganz aussteigen will. Es setzt sich eine Maschinerie in Gang, deren Folgen die Zuschauer*nnen zwar ahnen, aber nur in kleinen Portionen serviert bekommen. Der israelische Regisseur Yuval Adler („Betlehem“) erzählt Rachels verzweifelten, aber kompromisslosen Prozess der Loslösung in Rück- und Vorblenden, wobei das Spiel mit den Zeitebenen dem Erzählfluss nicht immer dienlich ist.
Somit befinden wir uns wenige Szenen später mitten in Rachels heikelster Mission. Um die Atompläne des iranischen Regimes zu hintertreiben, versorgt der Mossad den Sicherheitsapparat der Mullahs mit minderwertigen Elektronikteilen. Rachel, getarnt als Englisch-Lehrerin, befindet sich dabei in Teheran an vorderster Front. Ihre Zielperson ist Farhad, der im eingangs erwähnten Elektronikbetrieb eine wichtige Rolle spielt. Was nicht geplant ist: Rachel und Farhad werden ein Paar. Für die Spionin beginnt ein kompliziertes Lavieren zwischen Loyalität und Liebe.
„Die Agentin“ basiert auf dem – in der deutschen Ausgabe – gleichnamigen Roman von Yiftach Reicher Atir. In dem in Israel viel diskutierten Buch gibt der frühere Geheimdienstler Einblicke in die Arbeit des Mossad. Adler löst sich insofern von der Vorlage, als er den Schwerpunkt der Geschichte in den Iran verlegt und somit um den Konflikt zwischen Teheran und Jerusalem anreichert.
Spionage ohne Glamour
Der Film will ein realistisches und absolut unglamouröses Bild vom Spionagealltag zeichnen. Wirklich tiefgehend sind diese Einblicke aber vor allem dann, wenn die Protagonistin im Mittelpunkt steht. Wir erleben, wie eintönig und einsam das Leben unter konspirativen Umständen sein kann. Rachel hadert mit dem, was sie tut. Zugleich flirtet sie – Farhad sei Dank – mit einem neuen Leben voller privater Erfüllung. Sie lebt ihre Gefühle ganz offen aus und wahrt doch die konspirative Fassade. In den Gesprächen mit Thomas hingegen legt sie alle Karten auf den Tisch, dennoch agieren die beiden Geheimdienstler miteinander wesentlich unfreier. Man ahnt, dass Rachel nicht ewig mit diesem Wandern zwischen zwei Welten leben kann.
Wer einen klassischen Spionage-Thriller erwartet, wird enttäuscht sein. Adler zieht an einigen Stellen das Spannungslevel an, meist verpufft diese Dynamik aber wieder, sodass man sich oft fragt, wann die Geschichte richtig Fahrt aufnimmt. Wohl aber wird eine eindringliche Charakterstudie einer sensiblen Persönlichkeit geboten, die mehr aushalten muss, als man zunächst erwarten würde.
Diese ebenso präzise wie – nicht nur wegen zahlreicher Großaufnahmen – unbarmherzige Perspektive, bei der auch immer die Frage nach dem Grad von Täuschung und Selbsttäuschung im Raum steht, bringt eine subtile Spannung zum Schwingen, die durch das ausdauernde und facettenreiche Spiel von Diane Kruger bis zum gewagten Schluss trägt. Der große Geheimdienstkontext wirkt meist oberflächlich und der Plot mitunter flatterhaft. Umso größer ist die Leistung von Kruger alias Rachel, das Ganze zusammenzuhalten.
Info: „Die Agentin“ (Deutschland/ Frankreich/ Israel 2019), ein Film von Yuval Adler, Kamera: Kolja Brandt, mit Diane Kruger, Martin Freeman, Cas Anvar u.a., 116 Minuten, ab 16 Jahre. Auf Blu-ray und DVD