Achtung, dieses Buch ist ein Skandal! Denn es ist geeignet, das Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat zu erschüttern und zu untergraben. Und zwar absichtsvoll und willentlich.
Dieses Buch gefährdet die öffentliche Ordnung, so wie wir sie bisher gekannt und häufig genug für gut befunden haben. Der Urheber dieser Verunsicherung ist der Autor und Fernseh-Reporter Stefan Buchen. Er beschreibt, wie die deutsche Justiz aus gutwilligen Helfern syrischer Flüchtlinge systematisch böswillige Schleuser macht, ein Vorgang, der sich Rechtsprechung nennt, Buchen zufolge aber nacktes Unrecht ist.
Der rote Faden der Geschichte, die Stefan Buchen ursprünglich für das NDR-Magazin Panorama recherchiert hat, ist das Schicksal einiger Deutscher und eines Franzosen, die alle syrischer Abstammung sind. In gutem Glauben wollen sie Syrern zur Flucht aus dem Bürgerkriegsland verhelfen, mit Geld. Ein Ex-Syrer überweist ihm von Familienangehörigen anvertrautes Geld aus Deutschland nach Syrien, damit die Flüchtlinge dort ihre oft gefährliche Flucht bezahlen können. Ein anderer fährt mit seinem Taxi Flüchtlinge von französischen Flughäfen nach Deutschland. Ein Dritter organisiert Fluchtwege von Athen nach Deutschland, mit dem Schiff, dem Flugzeug oder über Land. Alle verdienen an ihrer Hilfe, nicht viel, aber ein paar tausend Euro sind es schon. Doch dieser Profit, so Buchen, ist nicht der Grund ihres Engagement, sondern eher Beifang. Tatsächlich wollen sie helfen, werden jedoch zu Haftstrafen verurteilt. Deshalb fragt der Autor: "Sind Menschen, die Flüchtlinge aus dem Kriegsland Syrien nach Deutschland bringen, Verbrecher?"
Behördlicher Rassismus
Stefan Buchen meint nein, doch Bundespolizei, Bundesnachrichtendienst, Essener Staatsanwaltschaft und am Ende das Essener Landgericht meinen ja. Für Buchen sind diese Angeklagten Fluchthelfer, die Menschenleben retten, doch für die Behörden sind sie eiskalte Schleuser, die angeblich sogar den Tod von Flüchtlingen in Kauf nehmen. Ein Vorwurf, der sich hinterher als Hirngespinst herausstellt. Über diese Art der Rechtsauslegung und Rechtsprechung empört sich Buchen in seinem Buch. Wenn man es liest, kann man seinen Zorn auf die Essener Richter verstehen. Hinter den aufwendigen Ermittlungen und dem Urteil steckt seiner Meinung nach zweifellos latenter Rassismus, aber noch viel mehr der Versuch, Flüchtlingen die Einreise nach Deutschland so schwer wie irgend möglich zu machen. "Es geht um den Anspruch des Staats bestimmen zu dürfen, wer einreisen darf und wer nicht", schreibt er. Buchen meint, jeder Flüchtling muss in Deutschland willkommen sein, egal wie er hierher kommt. Er streitet nicht ab, dass es brutale Schleuser gibt, denen das Schleusergeld wichtiger ist als das Leben von Flüchtlingen. Doch er beklagt, dass niemand die Frage stelle, "ob Schleuser, was immer ihre persönliche Motivation ist, einen humanitären Zweck erfüllen". Die Antwort gibt er selbst: "Durch ihr Tun dienen die Schleuser einem humanitären Zweck, nicht durch ihre Absicht." Eine zweifellos gewagte These, die Gefahr läuft, sogar jene Schleuser zu rechtfertigen, die völlig überladene Flüchtlingsboote von Libyen auf eine oft tödliche Reise Richtung Lampedusa schicken.
Buchens Argumentation ist also radikal, kompromisslos und moralisch rigide. Nicht in jedem Punkt kann ich ihr folgen. Doch das Beispiel der vom Essener Landgericht verurteilten Fluchthelfer lässt Zorn aufkommen, haben sie doch nichts anderes getan, als ihre Familien und Verwandten aus einem Krieg nach Deutschland geholt. Illegal zwar, aber nicht, um möglichst viel Geld zu machen. Sie wollten helfen. Für das Gericht spielte das keine Rolle. Wer sich also für das Thema Flüchtlingspolitik und den Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland interessiert, sollte dieses Buch unbedingt lesen.
Stefan Buchen: Die neuen Staatsfeinde. Wie die Helfer syrischer Kriegsflüchtlinge in Deutschland kriminalisiert werden. Dietz-Verlag, 200 Seiten, 15 Euro, ISBN 978-3-8012-0451-8