Warum gerade Israel? Ihre Gründe, ins Land der Bibel zu gehen, beschreiben Lea Fleischmann und Chaim Noll im ersten Teil ihres Buches.
Noll, 1954 in Ost-Berlin geboren, erlebte versteckte Formen des Antisemitismus. "Der Judenhass dort hatte mehrere Schichten. Er glich unterirdischen Bunkern". Dennoch machte sich Noll mit
jüdischer Kultur vertraut, studierte, pendelte zwischen Goethe und Buchenwald. 1983 ging er nach West-Berlin. Anfang der 90er Jahre schlug Noll sein Zelt in Israel auf, weil er zu erkennen glaubte,
dass Goethe ein "kalter Rechner" gewesen sei, der andere Völker gering schätzte.
Längst hält Noll diese Behauptung für "ungerecht", und der eigentliche Grund, Deutschland zu verlassen, lag woanders. Die Traumata des Holocaust konnte Noll nicht vergessen. Er spürte
"Abneigung, Misstrauen, tief und unüberwindlich, rätselhaft wegen dieser Unüberwindlichkeit".
"Dies ist nicht mein Land", lautete der Titel Buches, das Lea Fleischmann, geboren 1949 in Ulm, 1979 schrieb. Seit fast dreißig Jahren lebt sie in Israel, wo sie noch heute als
Schriftstellerin arbeitet und Deutschland regelmäßig besucht. Viele Angehörige ihrer Familie kamen im Dritten Reich ums Leben. Wie Noll schlug auch sie hierzulande keine Wurzeln. Neben dem
"lustigen, gut gelaunten Deutschland des Wirtschaftswunders" erblickte sie stets das Grauen der Konzentrationslager.
Nach dem Studium der Pädagogik arbeitete Fleischmann an einer Berufsschule. Sie lernte deutschen "Bürokratismus" kennen und habe verstanden, warum "brave Staatsdiener" den Holocaust
organisierten. "Ein perfektes Volk sind die Deutschen. Welcher Ideologie sie auch anhängen, sie befolgen die Verordnungen, ohne sich viele Gedanken zu machen, und führen alle Anweisungen tadellos
aus". Die alte deutsche Krankheit? Der "Radikalenerlass", glaubt sie, schuf ein Klima der "Unterwürfigkeit". In diesem "Wust von Verordnungen" fühlte sich Fleischmann erstickt.
Heute entdeckt sie in Deutschland materilistische Beschränktheit. Am Beispiel Frankfurts erläutert und kritisiert die Autorin sinnlosen Konsumleerlauf. Eine "aggressive Werbung" behaupte,
dass jeder, um glücklich zu sein, "all das überflüssige Zeug benötigt, das die Kaufhäuser feilbieten". Neben Bankhochhäusern vegetieren Junkies und Ausgegrenzte. Während die Armut wachse, erzielen
Minderheiten enorme Gewinne. Geistige Bande fehlen; das Land verfalle.
Auch manche Feministinnen werden hart kritisiert. Unterstützt von "der Frauenbewegung zerschlug ich meine Familie". Derzeit lebe eine Generation "verunsicherter Kinder". Spirituelle
Erneuerung, schreibt Fleischmann, fand sie nur in Israel. Dort erfuhr sie "Gott" und schloss Frieden mit Deutschland.
Im zweiten, kleineren Teil des Buches setzen sich Noll und Fleischmann mit Israel auseinander. Konsequent fällt Deutschland dem Verdikt anheim; an Israel bemängeln beide Autoren nichts. Viele
Westler, heißt es, missachten die jüdische Tradition.
Fälschlich gelte Israel als "Kriegsherd" und Friedensstörer. Gleichzeitig ignoriere man die Erfolge israelischer Bildungs- und Wirtschaftspolitik und sehe nicht, welche Gefahr der islamische
Terrorismus verkörpere. So nehme Westeuropa das "antiassimilatorische Verhalten" des militanten Islam "demütig" hin. Verursachen nur Araber die nahöstliche Krise? Lea Fleischmann beklagt die
Räumung israelischer Siedlungen im Gazastreifen, und Noll sieht Arafat als Vollstrecker alttestamentarischer Pharaonen.
Wie immer solche Standpunkte zu beurteilen sein mögen - das Buch ist interessant zu lesen.
Rolf Helfert
Lea Fleischmann/Chaim Noll, Meine Sprache wohnt woanders. Gedanken zu Deutschland und Israel, Scherz Verlag, Frankfurt/Main 2006, 256 Seiten, 17, 90 Euro, ISBN 978-3-502-15023-7.
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