Kultur

Der Wüstengeher

von Susanne Dohrn · 17. Mai 2009
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Wüste fasziniert. Wüste polarisiert. Manchen ödet sie an, andere macht sie süchtig. So einer ist Achill Moser. Als 17jähriger Schüler fuhr der Hamburger, der bislang nur Ostseesand kannte, nach Marokko, machte sich auf den Süden des Landes und sah die Wüste zum ersten Mal: "Sand, so weit das Auge reichte, ein goldgelber Ozean, der vom stetigen Wind zu einer überwältigenden Landschaft modelliert worden war, wie selbst die kühnste Phantasie sie kaum hätte erfinden können." Außer sich vor Glück warf er seinen Rucksack weg und stapfte, rutschte, stolperte, rollte eine Düne hinab. Es war der Beginn einer großen Liebe.

Mehr als 30 Jahre lang ist er nun Wanderer zwischen den Welten. Hat die meisten großen Wüsten der Welt erwandert, oft allein. Weder glühende Hitze, eisige Kälte, tobende Sandstürme noch die Gründung einer Familie konnten ihn davon abhalten, immer wieder loszuziehen. In seinem neuen Buch "Das Glück der Weite. Fünf Jahre in den Wüsten der Welt" erzählt er von seinen Reisen - in Chinas Turfan-Senke und in die Wüste Gobi, die Südsahara in Mali und das Land der Dogon, den Sinai in Ägypten und die Kaisut-Wüste in Kenia.

Kälte, Regen, Schnee und Lava
Wobei Wüste mehr umfasst als Sand und Dünen. Die Odadahraun-Wüste, übersetzt "Wüste der Missetäter", in Island ist die größte Lavawüste der Erde, in der sich zu Zeiten der Wikinger Geächtete und Vogelfreie verkrochen. Eine Landschaft die nicht von Sonne und Trockenheit geformt wurde, sondern von Vulkanismus und vom Regen, der fast alle mineralischen Nährstoffe aus dem Boden heraus gewaschen hat. Oder die Kobuk-Wüste in Alaska mit ihren Nebeln und eisigen Winden, durch die vor mehr als 20 000 Jahren die ersten Indianer von der Bering-Landbrücke zogen und Amerika besiedelten.

Das Buch ist nicht nur ein Wüstentagebuch, es ist auch ein historisches Lesebuch. Zu jedem Kapitel hat Moser Auszüge aus Berichten früherer Wüstenreisenden gestellt: von Mungo Park, der 1798 den Niger bereiste, mit dem festen Entschluss seine Mündung zu entdecken und dabei verschollen ist, von Isabelle Eberhardt, die als Mann verkleidet die algerische Wüste durchstreifte und 27jährig starb, als sie in einem Wadi in der Sahara von einer Flutwelle überrascht wurde, bis zu Karl May.

Wo bleibt die Angst?
Aber, wie gibt man der Einöde eine Stimme? Wie viele Wörter gibt es für die Farben von Sand? Und wie formuliert man Geschichten, wenn die ganze Kraft auf das Überleben gerichtet ist? Zuweilen beschleicht einen beim Lesen von Achill Mosers Buch der Eindruck, dass die alten Wüstenreisenden das etwas besser konnten.

Interessant die Auseinandersetzung mit der Angst. Angst kommt vor, aber nicht einmal in Situationen von Lebensgefahr erscheint sie existenziell. Auch Achill Mosers Frau, die in Hamburg zurückbleibt und ein eigenes Kapitel beigetragen hat, scheint es nicht sonderlich zu beunruhigen, dass ihr Mann sich mindestens einmal im Jahr Lebensgefahren aussetzt. "Wenn mich jemand fragt, ob ich Angst um ihn hätte, antworte ich daher ganz ehrlich: 'Nein, ich habe keine Angst'." Vermutlich geht es anders auch gar nicht.

Trotz dieser Vorbehalte: Wer sich für Wüsten interessiert, erfährt viel Neues. Mit Achill Mosers Buch in der Hand kann man sich auf mentale Reisen begeben, und statt die Entbehrungen am eigenen Leib zu erfahren, vom Liegestuhl aus in den Sommer schauen mit einem Glas gekühlten Weißwein zur Hand.

Von Susanne Dohrn

Achill Moser: Das Glück der Weite. Fünf Jahre in den Wüsten der Welt, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2009, 317 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3455501063

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Susanne Dohrn

ist freie Autorin und ehemalige Chefredakteurin des vorwärts.

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