Kultur

Der Westen gefährdet seine eigene Zivilisation

von Die Redaktion · 28. Juni 2006
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Schreiben war zu keiner Zeit ein reines Vergnügen, vor allem, wenn man davon leben mußte. Aber wenn der Schlachtenlärm in die Schreibstube drang, war es mehr denn je eine missliche Sache. Hielt man sich heraus aus dem Streit, machte man sich mitschuldig, wie auch immer die Sache am Ende ausging. Mischte man sich ein, lief man Gefahr, den Kopf zu verlieren, und das nicht nur im metaphorischen Sinn.

's ist Krieg! 's ist Krieg!

O Gottes Engel wehre,

Und rede du darein!

's ist leider Krieg,

- und ich begehre

Nicht schuld daran zu sein.

So beginnt ein Gedicht von Matthias Claudius gegen den Krieg. Nicht schuld daran zu sein, dass Krieg ist, ist das alles, was wir begehren können?

Aus der Erfahrung der blutigen Kriege des 16. und des 17. Jahrhunderts wuchs der moderne Staat, der Leviathan, wie Hobbes ihn nannte, der das Monopol der Gewalt an sich riss, um die entfesselte ubiquitäre Gewalt zu ersticken.

Angesichts von Staatszerfall und global operierendem Terrorismus liegt der Schluss nahe, wir seien heute erneut in der Hobbesschen Welt angekommen. Robert Kagan, Sozialwissenschaftler und Berater des amerikanischen Präsidenten George W. Bush, hat genau dies behauptet und daran die Konsequenz geknüpft, dass allein die einzige noch verbliebene Weltmacht, die USA, in der Lage sei, die Gewalt einzudämmen und den Frieden zu sichern. Seine Lösung: eine waffen-starrende pax americana.

Was ist das für ein Krieg, den die USA zusammen mit ihren Verbündeten heute gegen den Terrorismus führt? Das Neue ist nicht, dass beide Seiten sich in einem Kampf der Kulturen wähnen, sich gegenseitig als das radikal Böse bzw. den großen Teufel porträtieren.

Das Neue ist, dass die Gewalt, die hier zum Ausbruch kommt, sich nicht als Kriegshandlung im klassischen Sinn deuten lässt, auch wenn die Bombardierung und Besetzung Afghanistans und des Irak noch einmal den Anschein eines 'normalen' Krieges zu erwecken suchten. Der Krieg gegen den Terrorismus wird nicht gegen einen anderen Staat geführt, weil der Feind überall und nirgends ist. Und weil der Feind nicht sichtbar ist, die Kriegführenden wissen, dass dies im Grunde kein 'normaler' Krieg ist, verlieren auch die internationalen Konventionen für sie jede Bedeutung.

Dass der Terror eine schreckliche Verirrung des menschlichen Geistes darstellt, erscheint mir evident. Aber wer die Bilder von den gefolterten und gedemütigten Gefangenen aus Abu Ghraib und Guantanamo gesehen hat, der erkennt, dass auch in diesem 'Krieg' nicht einfach Recht gegen Unrecht, Gut gegen Böse steht. Es ist der weltweite Westen, der, mit sich selbst entzweit, in blutigen Krämpfen die Grundlagen der von ihm selbst geschaffenen Zivilisation gefährdet.

Es waren zu allen Zeiten Schriftsteller, die aufdeckten, dass alle Kriege, auch die, die im Namen hehrster Ideale geführt wurden, schmutzige Kriege waren. Es gab auch immer wieder geistliche Führer aller Religionen, die den Krieg in aller Schärfe verdammten. Aber es gab auch immer die anderen, Geistliche, die die Kriegswaffen segneten, Schriftsteller, die ie Kraft des Wortes einsetzten, um den Schmutz des Krieges zu verklären. Auch heute gibt es sie, die Barden des westlichen Abwehrkampfes gegen das radikal Böse in Gestalt des Islam und die wortgewaltigen Hetzer, die Terroristen als Märtyrer und Freiheitskämpfer preisen.

Was heute durch den Ungeist des Fundamentalismus und Separatis-mus auf dem Spiel steht, ist die große bei Lessing im Nathan exemplarisch entwickelte humane Idee eines dialogischen Pluralismus, die Idee, dass wir, gerade weil uns das Besondere, das Abweichende, das Widerständige am Herzen liegt, Bedingungen schaffen müssen, unter denen wir miteinander in einem gesicherten Rechtsraum in Frieden leben können.

Die Gewalt, die uns heute überall auf der Welt entgegenschlägt, ist uns nicht so fremd, wie wir vorgeben. Nur, wenn wir begreifen, dass sie auch mit uns, mit unserer Art zu leben und die Welt zu formen, mit unseren eigenen Ängsten und Obsessionen zu tun hat, haben wir eine Chance, sie einzudämmen, vielleicht gar sie ganz zu überwinden.

Wir, das sind die Menschen in den Ländern des Westens, die unter Gewalt, Krieg und Terror nicht weniger leiden als die Menschen anderer Länder und Kulturen. Wir, das sind die Schriftsteller, die, auch wenn sie sich nicht als intervenierende Intellektuelle begreifen, dennoch den Raum des Denkbaren und damit auch des Machbaren wesentlich mitgestalten. Schreiben in friedloser Welt - das heißt auch heute, dass die Schriftsteller sich der Verantwortung für Zivilität und Humanität - so oder so - nicht entziehen können.

Der P.E.N.-Club

Die Schriftstellervereinigung wurde 1921 in London zunächst als Club der Dichter gegründet. Sie hat heute 141 Dependancen in 99 Ländern der Erde. P.E.N. steht für "Poets,Essayists, Novelists" und fördert die Bewahrung und Verbreitung literarischer Werke. Mitglieder des P.E.N. verpflichten sich, "mit äußerster Kraft für die Bekämpfung von Rassen-, Klassen- und Völkerhass und für das Ideal einer einigen Welt und einer in Frieden lebenden Menschheit zu wirken." Der P.E.N. verwirft jede Form der Zensur und setzt sich für verfolgte und inhaftierte Schriftsteller, Übersetzer, Publizisten und Herausgeber in aller Welt ein.

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