Kultur

Der Welt in die Schnauze geguckt

von Carolin Hipp · 8. Juni 2009
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"Emil und die Detektive" (1929), "Das fliegende Klassenzimmer" (1933), "Das doppelte Lottchen" (1949) und "Die Konferenz der Tiere" (1949) sind nur einige der bekanntesten Werke Erich Kästners. Diese und viele andere Bücher stoßen auch heute - fast 35 Jahre nach seinem Tod - auf große Beliebtheit bei Jung und Alt. Kein Wunder: Kästners Themen sind nach wie vor aktuell, seine Wortwahl ist klar und unmissverständlich und seine Beobachtungsgabe beeindruckend, wie ein Beispiel zeigt:

Der kann sich freuen, der die nicht kennt!
Ihr fragt noch immer: Wen?
Sie borgen sich Geld für fünf Prozent
und leihen es weiter zu zehn. …

Sie glauben den Regeln der Regeldetrie
und glauben nicht recht an Gott.
Sie haben nur eine Sympathie.
Sie lieben das Geld. Und das Geld liebt sie.
(Doch einmal macht jeder Bankrott!)

Liest man diese Zeilen, könnte man glauben, dass sie erst gestern, vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Finanzkrise, entstanden sind. Tatsächlich schrieb sie Kästner schon vor 80 Jahren als "Hymnus auf die Bankiers" mit spitzer Feder nieder.

Die "Schnauze" als Neuauflage

Von Kästners Werken ließ sich auch der Schriftsteller Peter Rühmkorf bereits als Siebzehnähriger fesseln. Nie wieder losgelassen von diesem - wie er selbst sagte - "Mysterium", sammelte er später seine Lieblingsgedichte aus acht Bänden Kästners, die zwischen 1928 und 1955 veröffentlicht wurden. Rühmkorf gab sie erstmals 1981 als eigenständigen Band heraus. Dieser wurde nun vom schweizerischen Atrium Verlag unter dem Titel "Wir haben der Welt in die Schnauze geguckt" neu aufgelegt.

Auch wenn der Umschlag auf den ersten Blick wenig ansprechend und eher überfrachtet wirkt, so lässt sich auf den zweiten Blick viel hineininterpretieren: Er ist zweigeteilt wie zwei Leben. Im oberen Teil Kästners, im unteren Rühmkorfs - miteinander verbunden durch den kursiv geschriebenen Titel des Werkes. Die beiden Schriftsteller grinsen verschmitzt dem Leser entgegen. Beide in Hut und Mantel gekleidet, beide vom Leben mit Falten gezeichnet. Zwei Leben, zwei Männer, die dennoch durch eine gemeinsame Leidenschaft miteinander verbunden waren.

Die Sammlung

Schlägt man das Buch auf, erwarten den Leser auf 169 Seiten Gedichte und Verse von Erich Kästner. Keine Sorge, diese wurden nicht langweilig hintereinander aufgereiht. Rühmkorf unterteilte sie in verschiedene Themenbereiche, die er jeweils mit Titeln von Kästners Gedichten versah, wie etwa "Kennst Du das Land …" oder "Sachliche Romanzen".

Das erste Kapitel beginnt mit dem Gedicht "Inschrift auf einem sächsisch-preussischen Grenzstein", das vorzüglich als Einleitung des Bandes dient: "Wer hier vorübergeht, verweile! … Was wir hier stehngelassen haben, das ist ein Grabstein, daß ihr´s wißt! Hier liegt ein Teil des Hunds begraben, auf den ein Volk gekommen ist." Tiefsinnige Worte, die neugierig aufs Weiterlesen machen. Diesem "Entré" folgen weitere 100 tiefsinnige, humorvolle und gesellschaftskritische Werke eines lebenserfahrenen und geistreichen Kopfes.

Mit dem Band gelang Rühmkorf eine wunderbare Sammlung, die er vom ersten bis zum letzten Gedicht mit Bedacht ausgewählt und in eine kluge Reihenfolge gebracht hat. Abgeschlossen und zugleich abgerundet wird sie von dem Gedicht "Der Abschied". Kästner blickt hier auf sich und seine Werke zurück, so dass Rühmkorf seine Auswahl quasi mit den Worten des Autors Kästner selbst enden lässt. Mit diesem Schlusspunkt leitet Rühmkorf geschickt auf das von ihm geschrieben Nachwort über.

Das Nachwort und ein kleiner Tipp

In diesem zieht Rühmkorf einzelne Gedichte heran, um Kästner, dessen lyrisches Ich und seine Poesie zu charakterisieren und dem Leser näher zu bringen. Dazu führt er die persönlichen, politischen und gesellschaftlichen Entstehungshintergründe zu den Gedichten an. Eine insgesamt sehr begabte und wunderbar formulierte Laudatio, von der sich der Leser schnell und gern mitreißen lässt. Um den Verständnis- und Lesegenuss der Sammlung zu vertiefen, sollte die Lektüre übrigens mit dem Nachwort, also von hinten, begonnen werden.

Ein Fehler wäre es, diese leider viel zu kurze Gedichtsammlung in einem Stück zu verschlingen. Vielmehr sollte man sich dieses Werk auf den Nachttisch legen und sich täglich von einem Gedicht Kästners begleiten und zum kritischen, aber auch humorvollen Nachdenken anregen lassen.

Carolin Hipp

Wir haben der Welt in die Schnauze geguckt: Gedichte von Erich Kästner - Text von Peter Rühmkorf - ausgewählt von Peter Rühmkorf, Atrium Verlag, Zürich 2008, 208 Seiten, Efalin mit Schutzumschlag, 12,00 €, ISBN-13: 978-3-85535-994-3

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Autor*in
Carolin Hipp

studiert an der Universität Potsdam.

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