Die Deutschen Geheimdienste und der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU): Die Autoren Stefan Aust und Dirk Laabs legen mit „Heimatschutz“ ein Buch vor, das die Rolle des Staates in der Mordserie beleuchtet.
Widersprüche. Immer wieder benutzen die beiden Autoren diesen Begriff bei der Vorstellung ihres Buches „Heimatschutz“ in Berlin. Auf 860 eng bedruckte Seiten haben sie ihre Rechercheergebnisse gebracht. Sie haben tausende Aktenseiten ausgewertet und mehr als 100 Interviews geführt – mit Beamten, Neonazis, Experten. Ihre Quellen wollen sie nicht immer nennen. Für den ehemaligen „Spiegel“-Chefredakteur Stefan Aust und den Autor und Filmemacher Dirk Laabs ist klar: Das Bundesamt für Verfassungsschutz spielt eine zweifelhafte Rolle im Fall NSU. „Man kann sich nicht vorstellen, dass die das nicht gemerkt haben“, sagt Aust.
„Der Verfassungsschutz war zu nah dran“
Wie gut hatten die Geheimdienste ihre V-Leute im Griff? Warum wurden Akten über V-Leute vernichtet? Wie wichtig waren die vom Verfassungsschutz bezahlten V-Leute für die Entstehung des NSU? Die Autoren haben versucht, Antworten zu finden. Meist sind sie nur auf Widersprüche und neue offene Fragen gestoßen. Aust und Laabs sind denkbar vorsichtig, wollen sich auf keine Spekulationen einlassen. Doch die Erklärung, der Verfassungsschutz sei auf dem rechten Auge blind gewesen, lassen sie nicht gelten. Ihre These: Der Verfassungsschutz war zu nah dran am NSU.
Aust und Laabs zeigen, dass der Verfassungsschutz eine Unmenge V-Leute in die rechte Szene eingeschleust und bezahlt hatte. Diese V-Männer haben, wie das Buch zeigt, dazu beigetragen, dass der NSU entstehen konnte. Kurz nachdem Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tot aufgefunden und Beate Zschäpe verhaftet wurde, wurden Akten über V-Leute im großen Stil vernichtet. Aus „Dummheit“, wie der NSU-Ausschuss befand. Aus Berechnung, legen Aust und Laabs nahe.
Die Arbeit des Untersuchungsausschusses halten sie allerdings für unersetzlich: Er habe durch seine Arbeit zentrales Material zur Aufklärung erst zugänglich gemacht. Eva Högl, die SPD-Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss, saß bei der Buchvorstellung im Publikum. Sie hörte neben dem Lob auch Laabs’ Plädoyer für eine Fortsetzung der Arbeit des Ausschusses. Er sei das richtige Instrument, um den Fall NSU weiter zu untersuchen. Das wollen die Buchautoren unbedingt: „Der Fall ist längst nicht geklärt“, sagt Aust.
„Beate Zschäpe ist nicht die einzige, die die Wahrheit kennt“
„Ich teile nicht die Auffassung, dass nur Frau Zschäpe die Wahrheit kennt“, sagt Laabs. Das Umfeld, „das System NSU“ werde ausgeblendet, betont er. So wie alles, was mit den V-Männern zu tun hat, im Prozess ausgeblendet werde. „Man hat es dem Verfassungsschutz zu leicht gemacht“, unterstreicht Laabs. Vernichtete Akten könne man nicht zurückholen, aber man könne jene befragen, die die Akten geschrieben haben oder darin vorkamen.
Mehrfach zitieren die Autoren Klaus-Dieter Fritsche, bis 2005 Vizepräsident des Verfassungsschutzes, danach Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt und heute Staatssekretär für die Belange der Nachrichtendienste im Bundeskanzleramt: „Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren.“ Das sehen die Autoren anders. Geheimhaltung dürfe nicht Staatsräson sein, wenn es um 10 Morde und die Verwicklung von staatlich bezahlten V-Leuten in rechten Terror gehe, betonen die Autoren. Für sie ist Fritsche eine Schlüsselfigur im Fall NSU.
In dem umfangreichen Buch stellen die Autoren Zusammenhänge her und zeigen Widersprüche auf, die äußerst beunruhigend sind. Im Interview mit dem „Stern“ formuliert Laabs es so: „Da werden so viele Merkwürdigkeiten einfach dadurch erklärt, dass sie Zufälle waren. Darüber könnte man verrückt werden.“
Stefan Aust/Dirk Laabs: „Heimatschutz. Der Staat und die Mordserie des NSU“. Pantheon Verlag, München 2014, 864 Seiten, 22,99 Euro, ISBN 978-3-570-55202-5
Goetz Schleser
ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.