Zum 100. Geburtstag Axel Springers kritisiert sein Enkel die Zustände in Europas größtem Zeitungshaus.
Zeitungen sind in der Krise. Liegt das am Internet allein? Axel Sven Springer schildert fesselnd, wie der größte europäische Zeitungsverlag von einer Quasi-Gelddruckmaschine zu einem „Selbstbedienungsladen für angebliche Top-Manager“ verkommen ist.
Axel Sven Springer ist Axel Cäsar Springers Enkel. Er wäre wohl gern in die Fußstapfen seines berühmten und erfolgreichen Großvaters getreten, als „Axel III.“, jedenfalls rückblickend. Stattdessen wurde er ausgebootet. Jahrelang hat er dagegen geklagt, letztlich vergeblich. Jetzt hat er ein Buch geschrieben: seine Art, in Revision zu gehen, wo das Rechtssystem keine mehr kennt.
Intimste Kenntnisse
Biographien sind auch deshalb so beliebt, weil sie den Voyeur im Leser bedienen. Der Autor des Buches „Das neue Testament“ hat nicht nur intimste Kenntnisse dessen, worüber er schreibt, sondern er versteht es auch, seinen Leser zu packen. „Ich wollte Journalist werden, seit ich das erste Mal eine Zeitung in Händen hielt.“ Das mag man ihm glauben. Talent hat Axel Sven Springer offenkundig, das Handwerk hat er bei der BILD erlernt.
Üben lassen hat man ihn im Hause Springer, aber ansonsten verstanden es die Haupterbin Axel Springers – dessen fünfte Frau Friede – und ihre Anwälte, den Enkel auf Distanz zu halten.
Erst 19 Jahre alt war Axel Sven, genannt Aggi, als sein „Granddaddy“ starb. Bei einer von Friede Springer und dem Anwalt Bernhard Servatius angesetzten „Testamentseröffnung“ am 31. Oktober 1985 ließ er sich überreden, auf einen Teil seines Erbes zu verzichten – zugunsten der Witwe Friede. „So hat euer Vater und Großvater sich das gewünscht,“ versicherte Servatius – auch wenn Axel Springer diesen seinen allerletzten Willen nicht mehr habe schriftlich festhalten können.
Axel Sven hat es geglaubt und alles unterschrieben, was ihm vorgelegt wurde. Er war, so stellt er es heute dar, naiv und gutgläubig. Er bewunderte seinen Großvater, trauerte wirklich und kam erst Jahre später auf die Idee nachzufragen, wie das denn genau gewesen sei mit dem allerletzten, dem „neuen“ Testament. Je näher er hinsah – was mühsam war, weil er sich jeden Akteneinblick erstreiten musste -, desto mehr kam er sich „arglistig getäuscht“ vor.
Geschichte vom „armen reichen Mann“
Servatius hatte sich in einer „Erbenvereinbarung“ gleich für 30 Jahre als Testamentsverwalter einsetzen lassen. Laut Axel Sven Springer hat sein „Granddaddy“ das niemals so verfügt. „Natürlich ging ich davon aus, dass diese Erbenvereinbarung formal korrekt sein würde. Servatius war ja Anwalt und außerdem eine Vertrauensperson für mich.“
Was sein Buch nicht nur für Verlags- und Erbrechtsexperten spannend macht: es erzählt zugleich die ewig frische Geschichte vom „armen reichen Mann“: verwöhnt, aber einsam. „Aggis“ Vater Sven Springer – alias Sven Simon – bringt sich um, als der Sohn noch keine 14 Jahre alt ist. Da waren seine Eltern schon seit zehn Jahren geschieden. Axel Sven lebte im Internat. Seinen Großvater, dem er erst nach dem Tod des Vaters ein wenig näher kommt, beschreibt er bei aller Zuneigung als einen „der wohl untalentiertesten Familienmenschen“, die man sich vorstellen könne.
Der genialische Verleger, Erfinder von BILD und HÖR ZU, war umgeben von Frauen, Journalisten und Mächtigen – und dann noch von Domestiken und Domestiken höherer Ordnung: Anwälten und Managern. Von denen hielt er nicht viel. Er nannte sie „Flanellmännchen“. Aber er konnte nicht verhindern, das sie nach seinem Tod die Macht im Hause Springer übernahmen: im Schatten Friede Springers, die dank der „Erbenkonvereinbarung“ zur Haupterbin geworden war.
Axel Sven Springer beschreibt, wie sich Bernhard Servatius zum hochdotierten „Strippenzieher“ macht: Mit Wendigkeit und Eloquenz: „Servatius auf ein „Ja“ oder „Nein“ festzulegen, war so, als wollte man aus Watte eine Brücke bauen.“ Bestens bezahlte, aber nach Ansicht des Autors unterqualifizierte Manager gaben sich bei Springer in den 1990ern die Klinke in die Hand. Dienstwagen waren vom Feinsten, Konferenzorte immer exquisit, Spesenrechnungen gewaltig, Abfindungen exorbitant.
Axel Springer 2.0
Während sein Großvater jedem verdienten Mitarbeiter zum Dienstjubiläum persönlich gratuliert habe, hätten seine Nachfolger nicht einmal deren Namen gewusst. Sie verstanden sich auf Gesellschaftsrecht und Karriereplanung, der ihnen anvertraute Verlag aber trudelte roten Zahlen entgegen. Journalisten galten als „Fußvolk“.
Das änderte sich nach des Autors Meinung erst, als Mathias Döpfner kam, „Axel Springer 2.0“.
Dieses Buch muss man wohl auch als einen verzweifelten Versuch deuten, Döpfner und Friede Springer die Hand zu reichen. Hier ist einer, der schreibend ruft: Ich würde doch gerne mithelfen, den Verlag zu führen! Einer, der den Journalismus und das Verlagsgewerbe kennt und der, vor allem, denkt, wie es einst sein „Granddaddy“ tat.
Er jedenfalls, versichert Axel Sven Springer, hätte „DDR“ in Anführungszeichen geschrieben, bis die Mauer fiel. Die Springer-Verlagsführung ließ von dieser Praxis kurz vor der Zielgeraden ab; am 1. August 1989.
Auch darum geht es dem Autor: Axel Springer pünktlich zu dessen 100. Geburtstag (am 2. Mai) zu entdämonisieren. Nie sei es seinem Großvater bei dessen verbissenem Kampf gegen Kommunisten um „ein neues Großdeutschland“ gegangen, sondern immer nur „um die Freiheit für jeden deutschen Bürger“.
Außer, das lässt der Enkel gnädig aus, um die Freiheit derer, die anders dachten als Axel, der Zeitungszar Springer. Mit keinem Wort geht der Autor auf die Hetzkampagnen ein, mit denen BILD vor allem in den 1960er und 1970er Jahren das politische Klima in der Bundesrepublik vergiftet hat. Aber das wäre wohl auch zuviel verlangt gewesen von einem zur späten Liebe fest entschlossenen Enkel.
Axel Sven Springer, Das neue Testament. Mein Großvater Axel Springer, Friede, ich und der Strippenzieher. Haffmans & Tolkemitt, Berlin 2012, 288 S., 19,95 Euro.