Kultur

Der tragische Held. Oskar Schindler - Rezension

von Die Redaktion · 22. August 2005

David M. Crowe, amerikanischer Historiker, vollbrachte in siebenjähriger Arbeit ein Glanzstück. Archive mehrerer Länder besuchte er und sprach mit vielen Zeitzeugen, die Schindler kannten.

Crowe skizziert "eine viel komplexere und manchmal auch traurigere Gestalt als die, die in Roman und Film dargestellt wird". Dem Geschäftsmann Oskar Schindler, 1908 in Mähren geboren, sagte man charakterliche Defizite nach. "Der Schindler", behauptete seine Frau Emilie, "war ein Weiberheld, ein Trinker und Tunichtgut. Er war ein Idiot, mehr nicht". Schindler, meint der Autor, leiteten ursprünglich nur Geldgier und andere "selbstsüchtige" Motive.

Ende der 30-er Jahre spionierte Schindler im Sudetenland zugunsten der Nationalsozialisten. Ein tschechisches Gericht verurteilte ihn zu einer Haftstrafe. Nach wenigen Monaten entlassen, habe er an der Vorbereitung des Krieges gegen Polen teilgenommen. Laut Auskunft seiner Frau besorgte Schindler polnische Uniformen für die Gleiwitzer Aktion.

Noch 1939 ging Schindler nach Krakau, damals Hauptstadt des "Generalgouvernements", wo er eine ehemals jüdische Fabrik pachtete, in der Arbeiter, die aus dem nahen Ghetto stammten, Emaillewaren herstellten. Anfangs verfolgte Schindler rein ökonomische Ziele. Abraham Bankier und Itzak Stern, Angestellte der "Emalia", wirtschafteten erfolgreich, und Schindler pflegte gute Kontakte zu Wehrmacht, Abwehr, Rüstungsinspektion und Sicherheitspolizei- Einflüsse, die er bald im Interesse jüdischer Zwangsarbeiter nutzte.

Detailliert schildert Crowe manche Aspekte und Mechanismen des Holocaust. Dazu gehören auch lesenswerte Kurzbiografien über berüchtigte SS-Offiziere wie Amon Göth und Odilo Globocnik, mit denen Schindler verkehrte.

Erst Krieg und antisemitische Verfolgungen, besonders die Erfahrungen des Krakauer Ghettos, änderten Schindlers Denkweise und machten ihm klar, dass ein Völkermord stattfand. Etwa zwei bis drei Jahre dauerte dieser Erkenntnisprozess. Bereits 1941/42 verhörte die Gestapo Schindler, weil er Juden geholfen habe. Endgültig beseitigte der Mord an jüdischen Ghetto-Kindern im März 1943, glaubt Crowe, Schindlers letzte Zweifel. Fortan tat er alles, um "seine" Juden zu retten.

Schindler fügte 1944 der "Emalia" einen Rüstungszweig hinzu, die so den Status der Kriegs¬wichtigkeit erhielt. Gleichzeitig holte er 1100 Juden aus Lagern und gab ihnen Arbeit. Deren Namen standen auf Listen seines Mitarbeiters Marcel Goldberg (Schindlers Liste). Statt, wie viele andere es taten, die erzielten Gewinne einzustreichen und nach Westen zu fliehen, verlegte er wenige Monate vor Kriegsende den Rüstungsteil der Fabrik in das sudetendeutsche Brünnlitz. Darin sieht Crowe die "entscheidende Rettungstat", dank der Schindler über tau¬send Menschen vor dem Tod bewahrte. "Schindler war tief in seinem Herzen ein grundanständiger Mensch", vielleicht sogar nicht trotz, sondern wegen mancher "anarchischer" Charakterzüge.

Obwohl ihn die "Schindlerjuden" nach Kriegsende unterstützten, kam Schindler, der zeitweise in Argentinien lebte, beruflich nie mehr auf die Beine und starb als vordergründig gescheiterte Existenz. 1962 erhielt er die israelische Auszeichnung "Gerechter der Nationen". Schindler habe, so David M. Crowe während des Krieges ein Zitat aus dem Talmud gelesen: "Wer ein Menschenleben rettet, der rettet die ganze Welt".

David M. Crowe, Oskar Schindler. Die Biografie, Eichborn-Verlag, Berlin 2005, 858 Seiten, 39, 90 Euro, ISBN 3-8218-0759-8.

Rolf Helfert

0 Kommentare
Noch keine Kommentare