Kultur

Der steinige Weg der Asylbewerber

von Tomas Unglaube · 31. Juli 2012

Asylbewerber sind unbeliebt. Nicht selten wird ihnen unterstellt, sie kämen nur nach Europa, um sich hier ein leichtes Leben finanzieren zu lassen. Edward van de Vendel und Anoush Elman erzählen in ihrem autobiografisch geprägten Roman Der Glücksfinder die Geschichte des jungen Afghanen Anoush Elman und räumen mit Vorurteilen gründlich auf.

Eindringlich schildern die Autoren im ersten Teil des Romans das Leben in Afghanistan unter der Herrschaft der Taliban: Angst vor willkürlichen Züchtigungen und Inhaftierungen ist allgegenwärtig. Öffentliche Bestrafungen, einschließlich Hinrichtungen, sind an der Tagesordnung. In der Schule dominieren religiöse Indoktrination und brutale Erziehungsmethoden. Der Alltag wird bis ins Detail kontrolliert. Fußballspiele sind ebenso verpönt wie Musik oder Kunst. Mädchen werden vom Schulbesuch ausgeschlossen; Lehrer, die sie dennoch unterrichten, inhaftiert.

Die Grausamkeiten werden ein Stück erträglicher, weil die Autoren aus der Sicht des im Roman Hamayun genannten Anoush schreiben. Die Erfahrungen des Jungen ziehen die Leserinnen und Leser zudem stärker in die Handlung hinein. Sie wünschen dem anfangs gerade einmal acht Jahre alten Kind, das die Vorschriften immer wieder phantasiereich zu unterlaufen sucht, nur Gutes.

Flucht vor den Taliban 

Hamayuns Familie hat gehofft, durch den Umzug nach Kabul dem Terror der Taliban zu entgehen. Doch als der Vater, der als Lehrer gearbeitet hatte, verhaftet wird, sieht sie keine Möglichkeit, in Afghanistan zu bleiben. Mit Hilfe von bezahlten Menschenschmugglern und bestochenen Beamten machen sich die Mutter und der frei gekommene Vater zusammen mit Hamayun und zwei weiteren Kindern – der jüngste Sohn bleibt bei der Großmutter zurück – auf die Flucht nach Europa. Sechs Monate sind sie in PKWs und LKWs unterwegs durch Zentralasien und Osteuropa. Sie wissen nie genau, wo sie sind, und leben in ständiger Angst verraten, aufgegriffen oder misshandelt zu werden.

Als Asylbewerber in den Niederlanden

Als sie schließlich in den Niederlanden ankommen, sind all ihre Ersparnisse aufgebraucht. Der Kampf von Hamayuns Familie um Bleiberecht und Anerkennung beginnt. Detailliert beschreiben die Autoren die beengten Wohnverhältnisse in den Asylbewerber-Unterkünften. Präzise schildern sie das überaus bürokratische Verfahren, dem Asylbewerber ausgesetzt sind. In dem Buch werden die psychischen Folgen dieser Umstände und der ständigen Angst, ausgewiesen zu werden, erschreckend deutlich.

Auch hier erweist sich die Erzählperspektive des Romans als Glücksgriff: Die unsäglichen Zustände werden aus der Sicht des inzwischen 16 Jahre alten Hamayun beschrieben. Der ist nicht nur ein Flüchtling, sondern auch ein ganz normaler junger Mann voller Pläne und Sehnsüchte. So gelingt es den Autoren, die Darstellung des Unglücks immer wieder ironisch zu brechen. Zugleich wird nachvollziehbar, welche Bedeutung der Familienzusammenhalt hat, gerade weil sich die Rollen in der Familie angesichts der Ausnahmesituation ändern.

Als Leserin oder Leser wünscht man Hamayun und seiner Familie am Ende, dass sie die Anerkennung als Asylbewerber und damit ein Bleiberecht erhalten. Ob dies tatsächlich eintritt, lassen die Autoren offen: Der Glücksfinder hat zwei Enden.

Der Roman von Vendel und Elman verschafft einen bisweilen sehr bedrückenden Einblick in die Lebenssituation einer leider noch immer wachsenden Zahl von Menschen in Europa. Nicht nur Jugendlichen ist er sehr zu empfehlen.

Edward van de Vendel / Anoush Elman: Der Glücksfinder. Aus dem Niederländischen von Rolf Erdorf, ab 14 Jahren, Carlsen Verlag, Hamburg 2011, 463 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3-551-58215-7

 

Autor*in
Tomas Unglaube

ist freier Journalist.

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