Kultur

Der Querdenker

von Wolfgang Brinkel · 27. Dezember 2008
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Helmut Gollwitzer hat gern erzahlt und sich erzählen lassen. Dabei schienen ihm Handlungen immer interessanter als Betrachtungen, Nachrichten von Gescheh-nissen wichtiger als Beurteilungen. Oft wurde er gebeten, aus dem Reichtum seiner Begegnungen und Lebenser-fahrungen auch etwas aufzuschreiben, von Menschen, die er erlebte, - Führungen, die er erlitt, - Wirkungen, die er anregte, - Bewegungen, von denen er sich mitbewegen ließ. Er hätte Freude daran gehabt, dies zu tun auch im Blick darauf, dass Generationengeschicke schnell in Vergessen-heit geraten.

Wichtiges zu tun

Solange seine Frau Brigitte lebte, bremste sie ihn aber: »Es gibt Wichtigeres zu tun« - meinte sie. In gewissem Sinne entsprach diese Einstellung auch Gollwitzer selbst. Er notierte nicht einmal in Taschenkalendern, geschweige denn in Tagebüchern die Termine und Gelegenheiten, die seine Tage erfüllten. Und seine große Mitteilungsbereitschaft, wie sie aus seiner Studentenzeit, den Kirchenkampftagen, auch der Soldaten- und Gefangenschaftszeit in Rundbriefen zum Glück bekannt sind, versickerte im Laufe der Jahre immer mehr. Nach einem Schlaganfall, dessen Wirkungen er herunterzuspielen versuchte und den er nur sein »Schlägle« nannte, brachte Gollwitzer seine Gedanken dann nicht mehr so zusammen. Und nach dem Tode seiner Frau verlor er überdies die Lust am Schreiben, die ihn in seinem Leben bisher immer heftig bewegt hatte.

Damenbesuch mit Folgen
Umso verdienstvoller ist es, dass sich Ralph Ludwig der Mühe unterzog, in neun Kapiteln wichtige Stationen des Lebens von Helmut Gollwitzer - beginnend beim "Damenbesuch mit Folgen", über die erste Begegnung mit Karl Barth, die Jahre des Widerstands in Berlin-Dahlem, Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion, als Theologie-Professor in Bonn und Berlin, bis zu den letzten Jahren nachzuzeichnen. Entstanden ist ein guter Einblick in ein bewegtes Leben sowie in die Gedankenwelt eines Theologen, dessen Leitbild ein christlich begründeter humaner Sozialismus gewesen ist. Die Biografie - wie im Buch auf der vierten Umschlagseite annonciert wird - ist es aber leider nicht geworden.


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Der Unbekannte

Ein bisher unbekannter Helmut Gollwitzer wird uns bei dem im C.H.Beck-Verlag München publizierten, bislang unveröffentlichten Briefwechsel zwischen Helmut Goll-witzer und seiner Verlobten, der Schauspielerin Eva Bildt, vorgestellt. Dieser Briefwechsel wurde bei der Erschließung des schriftlichen Nachlasses von Gollwitzer im Evangelischen Zentralarchiv in Berlin aufgefunden.

Gespräch in Briefen
Eva Bildt und Helmut Gollwitzer, die sich Anfang 1941 verlobten, aber wegen Evas jüdischer Abstammung nicht heiraten durften, war nach ihrer Verlobung nur wenig Zeit des Zusammenseins gegönnt. Daher tauschten sie sich in zahlreichen Briefen aus. Während sie ihr Leben in Berlin unter den Bedingungen von Verfolgung, Zwangsarbeit und Bombenkrieg schildert, berichtet er in den Briefen aus Frankreich und ab 1943 von der immer chaotischeren Lage an der Ostfront. Auf diese Weise ist ein eindrucksvolles Gespräch entstanden, das den Leser unmittelbar in das Schicksal der beiden Menschen hineinzieht. Darüber hinaus vermittelt es eine Ahnung vom Leben und Leiden so vieler ihrer Zeitgenossen.

Bewegende Lebensumstände
Der im Zentralarchiv gefundene Briefwechsel zwischen Eva Bildt und Helmut Gollwitzer umfasst 750 Briefe. Aus diesem Bestand haben die Herausgeber 78 Briefe von Eva Bildt und 41 von Helmut Gollwitzer ausgewählt, die für die Lebensumstände der beiden und für die Entwicklung ihrer Beziehung besonders eindrucksvoll und bewegend sind. Anhand von Zwischentexten mit Hinweisen auf die Einbettung des Schicksals von Bildt und Gollwitzer in das allgemeine Geschehen des NS-Staates und mit Erklärungen zu Personen und Sachverhalten, ermöglichen die Herausgeber ein besseres Verständnis des chronologisch editierten Briefwechsels.

In einem sehr persönlich gehaltenen Nachwort blickt Antje Vollmer auf das Leben von Helmut Gollwitzer zurück und zeigt, dass der zeit seines Lebens politisch engagierte Theologe gerade heute wiederzuentdecken ist.

Bezeichnend ist, dass beide Bücher nicht beim Rechtsnachfolger des Chr. Kaiser-Verlages - des jahrzehntelangen Hausverlages von Gollwitzer - verlegt wurden.


Ralph Ludwig: Der Querdenker. Wie Helmut Gollwitzer Christen für den Frieden gewann. Wichern Verlag 2008, 120 Seiten, 11 Abbildungen. 9,95 Euro, ISBN 978-3-88981-256-8

Ich will Dir schnell sagen, daß ich lebe, Liebster. Helmut Gollwitzer - Eva Bildt.
Briefe aus dem Krieg 1940-1945. Herausgegeben von Friedrich Künzel und Ruth Pabst.
Mit einem Nachwort von Antje Vollmer.
C.H.Beck 2008, 336 Seiten, 22 Abbildungen. 14,95 Euro, ISBN 978-3-406-57381-1

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