Kultur

Der Mix macht’s

von Die Redaktion · 29. Mai 2006

Irgendwann vor ein paar Jahrzehnten kam ein gefährlicher Virus nach Deutschland. Er befiel Professoren und Politiker, Unternehmenschefs und Journalisten. Er fraß sich in die Hirne derer, die das Sagen haben in der Republik. Seitdem nutzen sie ihre Macht, um ganz Deutschland zu privatiseren und zu deregulieren.

Der Virus ist der Neoliberalismus. Seine Verbreitung beschreibt der Publizist Albrecht Müller in seinem Buch "Machtwahn". Es erzählt von Menschen, die behaupten, sie wollten mit ihren Reformen dem Land helfen. In Wirklichkeit sorgen sie dafür, dass die Wirtschaft stagniert und die Arbeitslosigkeit steigt. Dass zwar die Reichen reicher, aber die Armen ärmer werden. Der Virus des Neoliberalismus richtet das Land zugrunde. Das ist die zentrale Aussage von "Machtwahn". Streckenweise liest es sich so mitreißend wie ein guter Science-Fiction-Roman. Insofern ist es ein gelungenes Buch.

Noch besser wäre es, wenn auch die Wahrheit darin stünde.

Tatsächlich dominiert die neoliberale Ideologie seit Jahren die wirtschaftspolitische Debatte in Deutschland. Insoweit hat Albrecht Müller Recht. Fast alle neoliberalen Vordenker behaupten, nur radikale Strukturreformen könnten Deutschlands Weg in die Dritte Welt stoppen. Diese These versuchen sie auf manchmal dreiste Art, etwa durch die Gründung vermeintlich neutraler Institute, zu verbreiten. Auch das hat Müller treffend beobachtet.

Nur bedeutet das ja nicht, dass alle Strukturreformen unnötig seien.

An einer zentralen Stelle seines Buches beruft sich Müller auf das Vorbild Amerika. Die USA hätten gezeigt, dass eine schwach wachsende Volkswirtschaft durch staatliche Konjunkturprogramme und Zinssenkungen der Zentralbank angekurbelt werden könne. Stimmt. Allerdings empfehlen selbst keynesianisch denkende Ökonomen wie der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz oder der Goldman-Sachs-Volkswirt Jim O'Neal, die Müller zitiert, eine solche Politik nur dann, wenn die Regierung gleichzeitig für einen flexiblen Arbeitsmarkt sorge. Erst wenn zum Beispiel die Arbeitslosenunterstützung reduziert oder zeitlich begrenzt werde, sei sicher, dass durch das stärkere Wachstum die Arbeitslosigkeit deutlich gesenkt wird. Insofern waren die Hartz-Reformen vom Ansatz her richtig. Aber sie hätten mit einer aktiven Konjunkturpolitik kombiniert werden müssen.

Dieser Mix aus Konjunktur- und Strukturpolitik ist es, den international führende Ökonomen heute als die richtige, mithin die wahre, Politik empfehlen. Nicht die einseitige Konzentration auf Reformen des Arbeitsmarktes oder des Sozialstaats, wie sie die Mehrzahl der deutschen Wirtschaftswissenschaftler empfiehlt (die anderswo, vor allem im englischsprachigen Ausland, oft nur noch belächelt werden). Aber auch nicht die Beschränkung auf höhere Staatsausgaben und niedrigere Zinsen, wie Albrecht Müller sie propagiert. Gerade er, der in seinem Buch alle paar Seiten die mangelnde ökonomische Fachkenntnis in Deutschland bemängelt, hätte dies eigentlich wissen müssen.

Von Wolfgang Uchatius

Albrecht Müller: Machtwahn. Droemer Verlag, München 2006, 368 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 3-426-27368-1

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