Kultur

Der Kreativpakt

von Die Redaktion · 19. Juni 2009
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Die Kreativwirtschaft ist ein wichtiger Zukunftsbereich unseres Landes", sagt SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier.

Sie beschäftigt mehr Menschen als die Automobilindustrie. Sie ist umsatzstärker als die Chemieindustrie. Sie ist die am schnellsten wachsende Branche in Deutschland, und sie ist international erfolgreich, wie z.B. der Oscar für "Das Leben der Anderen" gezeigt hat.

Kreative produzieren Ideen. Dafür müssen sie bezahlt werden. Nur dann können sie davon leben und weiter Ideen produzieren. Was der Kreativpakt beinhalten müsste, haben am 14. Juni, zeitgleich mit dem SPD-Parteitag, Vertreter der Kreativwirtschaft auf­gezeigt. Sie benennen die Chancen der Kreativwirtschaft für unser Land, aber auch die Risiken, denen sie ausgesetzt ist. Der Kreativpakt bietet Lösungen an - von Bildung bis zu sozialer Sicherheit und gerechter Entlohnung.

SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier verspricht Unterstützung: "Ich freue mich sehr darüber, dass sich namhafte Vertreter aus ganz verschiedenen Bereichen der Kreativwirtschaft zum Kreativpakt bekannt und einen ersten Vorschlag vorgestellt haben. Ich werde das Gespräch mit den Unterzeichnern und der gesamten Branche fortsetzen und vertiefen, damit die Kreativwirtschaft in Deutschland die besten Rahmenbedingungen erhält."

Auszüge: Aus dem Kreativpakt

Präambel

Den ersten Schritt hat die Regierung Schröder gemacht: Obwohl die Zuständigkeit bei den Bundesländern liegt, schuf sie 1998 im Kanzleramt die Position eines Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Seitdem kann Kultur in Deutschland auch wieder Chefsache sein. In den folgenden zehn Jahren hat die Kultur- und Kreativwirtschaft maßgeblich zur Identität, zur Integration und zum wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland beigetragen. …

Im Gegensatz zu anderen Branchen ist in der Kreativwirtschaft die Emanzipation der Geschlechter längst vollzogen. So belegt das aktuelle "Forschungsgutachten Kultur- und Kreativwirtschaft" der Bundesregierung, dass mehr als die Hälfte der Beschäftigten und 44 Prozent der Selbständigen Frauen sind. Zudem integriert die Branche Migranten wie kaum ein anderer Bereich. Fast zehn Prozent der bei der Künstlersozialkasse (KSK) gemeldeten deutschen Künstler sind keine deutschen Staatsbürger. Der Erfolg macht Mut und fordert zu einem zweiten Schritt heraus: ein Pakt zwischen Künstlern, Kreativen und Politik, der gesellschaftliche Grundlagen für Kreativität in einer digitalen Welt schafft.

Erfreulicherweise spricht mit Frank-Walter Steinmeier bereits einer der Kanzlerkandidaten von einem solchen Kreativpakt und hat ihn auch an prominenter Stelle im Wahlprogramm seiner Partei verankert. Im Folgenden geht es um Themenfelder, Problemstellungen und Lösungsansätze, die angepackt werden müssen, um einen solchen Pakt zu begründen und mit Leben zu füllen. Ein Kreativpakt hat soziale, moralische und zukunftsweisende Implikationen. Das ist für Parteipolitik nicht immer bequem. Deshalb liegt es an uns, den Kulturschaffenden und Kreativen, die guten Ansätze beim Wort zu nehmen und im Sinne einer späteren Regierungspolitik jetzt zu konkretisieren.

1. Der Weg zu Wissen und Werten

Von vielen anderen Branchen unterscheidet sich die Kultur- und Kreativwirtschaft dadurch, dass ihre Wertschöpfung nicht auf Massenproduktion, sondern auf der Herstellung von Prototypen, Einzelstücken oder immateriellen Wirtschaftsgütern basiert. Ihre Stärke besteht darin, dass ihre Rohstoffe, nämlich Wissen und Ideen, hier zu Lande gefördert und gehoben werden können.

Angesichts der Herausforderungen, vor denen Betriebe und ihre Beschäftigten im internationalen Wettbewerb stehen, sind die Kreativen klar im Vorteil: Wer von Ideen und deren Verwirklichung lebt, muss sich vor dem Druck auf Lohn- und Stückkosten durch Globalisierung und Automation nicht ängstigen. ...

Problematisch ist die Lage dort, wo die Grundlage für Wissen gelegt wird: in den Bildungseinrichtungen. … Insbesondere die Naturwissenschaften sowie künstlerische Fächer sind stark vom Stundenausfall betroffen. In den Lehrplänen der meisten Bundesländer fehlen Musik und Kunst ganze Klassenstufen lang oder werden nur zum Verständnis der kulturellen Vergangenheit gelehrt. Ergebnis: Das Heben der eigenen Kreativität wird nicht verlässlich an unseren Schulen gelehrt. ...

Im Rahmen des Kreativpaktes müssen wir deshalb
- für eine andere, weil gleichgestellte Rolle von Kunst und Musik in der deutschen Bildung und für die dauerhafte Präsenz von Künstlern an den Schulen eintreten;
- für ein Fach wie Medienerziehung eintreten, in dem der Umgang mit Informationen und geistigem Eigentum gelehrt wird; …

2. Neue Arbeit und neue, soziale Sicherheit

Kreatives Arbeiten sprengt die herkömmliche Definition von Arbeit. Diese ist in der Kultur- und Kreativwirtschaft meist weder an geregelte Zeiten, noch an definierte Orte, und oft auch nicht an sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gebunden. Filmproduktionen etwa können wegen des Projektcharakters ihrer Arbeit gar nicht anders planen.

Es sind aber auch die Erwerbstätigen selbst, die Vorteile in diesen Strukturen sehen und sich andere Arbeitsverhältnisse für sich nicht vorstellen können. Selbständigkeit verschafft ihnen künstlerische oder kreative Freiheit, sie haben das Gefühl, Herr ihrer Zeit und Möglichkeiten zu sein. An die Sicherheiten, die ein vermeintlicher Lebensarbeitsplatz mit Kündigungsschutz und Rente bringt, glauben viele nicht. …

Im Rahmen eines Kreativpakts sollte man deshalb fordern, dass
- Sozialabgaben überall dort fällig werden, wo Entlohnung stattfindet, egal ob in fester oder freier Beschäftigung;
- bis zu einer neuen Regelung die KSK nicht abgeschafft, sondern erneuert wird; …

3. Wertschöpfung und Eigentum


Für die Nutzung ihrer Ideen bezahlt zu werden, haben sich Kreative in Europa bereits im vorletzten Jahrhundert erkämpft. Inzwischen vertreten zahlreiche Verwertungsgesellschaften die Rechte von Autoren und Produzenten… Allerdings hat sich die Aufgabenstellung in den vergangenen Jahren deutlich verändert. Statt mit einem strukturierten Markt für Ton- und Bildtonträger, Rundfunk und Printprodukte müssen diese Organisationen mit unzähligen globalen und auch digitalen Aufführungs- und Vertriebskanälen zurecht kommen. … Ein Kreativpakt müsste somit eine Reformierung der Verwertungs- und Produzentengesellschaften beinhalten...

Schlussbemerkung

Das Internet hat nicht nur die Welt der Kommunikation verändert. Mit ihm entstanden in der Breite neue Zugänge zum Wissen, neue Möglichkeiten der Arbeit und Arbeitsformen, eine neue Situation für Eigentum und Wertschöpfung, eine Demokratisierung kultureller Produk­tion und Distribution, eine endgültige und absolute Informationsfreiheit. Das meiste davon ist positiv, doch fast alle diese Digitalisierungseffekte können sich fatal entwickeln, wenn sie nicht politisch gestaltet werden. … Die Politik muss sich dem gemeinsam mit Kulturschaffenden und Kreativen stellen. Am besten in Form eines Kreativpakts.

Die Unterzeichner:
Der Filmemacher und Oscar-Preisträger Pepe Danquart, der DJ und Musikproduzent Paul van Dyk, der Galerist Frank-Thomas Gaulin, Karen Heumann, Vorstandsmitglied der Werbeagentur Jung von Matt, die Schriftstellerin Louise Jacobs, der Designer Axel Kufus, Christopher R. Koeppler, Geschäftsführer des Multimedia-Verlages Tivola, der Blogger und Sachbuchautor Sascha Lobo und Tim Renner, Gründer von Motor FM und ehemals langjähriger Manager der Plattenindustrie.

Der Text erschien am 14. Juni 2009 in der "Welt am Sonntag".


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