Egon Bahr ist am 18. März neunzig Jahre alt geworden. Jörg Hafkemeyer hat deshalb im vorwärts buch Verlag ein Porträt von ihm veröffentlicht, das den treffenden Titel trägt: „Der Patriot“. Keiner hat so viel dazu beigetragen, dass die Deutschlandpolitik in den sechziger, siebziger Jahren so erfolgreich aus der Sackgasse der letztlich unpolitischen Kreuzzugsideologie der Adenauerzeit herausgeführt wurde wie der eng mit Willy Brandt verbundene Sozialdemokrat Bahr.
Die Stärken des Buchs sind vor allem die Originalzitate der unterschiedlichen Gesprächspartner, die Hafkemeyer interviewt hat. Keiner versagt dem Strategen im Hintergrund seine Reverenz. Auch wenn mancher von ihnen zum anderen politischen Lager gehört, wie Richard von Weizsäcker, der Bahr noch heute bescheinigt, entscheidend zur Überwindung des Kalten Krieges beigetragen zu haben.
Deutsche Einheit in Freiheit
Egon Bahr war ein seltenes Talent mit seiner Fähigkeit, alle Schritte immer vom Ende her zu bedenken. Nur so konnte er, gemeinsam mit Willy Brandt, in den sechziger Jahren einen gordischen Knoten durchschlagen, und politischen Realismus mit strategischen Zielen verbinden. Die hießen immer: Deutsche Einheit in Freiheit, eingebunden in einen gesamteuropäischen Werte-und Verantwortungszusammenhang. Dass die dabei vorgesehenen Bahnen mitunter zur Vernachlässigung von unerwarteten Neuentwicklungen führen konnten, wird von Hafkemeyer nicht verschwiegen.
So fehlen in seinem Buch auch nicht die notwendigen kritischen Töne über die Regierungsbezogenheit sozialdemokratischer Ostpolitik, die besonders in den achtziger Jahren Gefahr lief, den Anschluss an die demokratische Opposition im sowjetischen Lager zu vernachlässigen.
Dennoch. Die paradoxe Formel „Wandel durch Annäherung“ bleibt eine der ganz großen Meisterleistungen europäischer Diplomatie des letzten Jahrhunderts. Leicht ist es nicht, Gesinnungs- und Verantwortungsethik in Balance zu bringen. Es ist sogar sehr schwer, denn dieser Weg erfordert die Fähigkeit zu sehr konkretem, realistischen und zugleich unkonventionellem wie einfühlsamen Querdenken. Dass er dennoch gangbar ist, zeigt Hafkemeyers Buch und der, um den es dabei geht: Egon Bahr, der große kleine Mann aus der zweiten Reihe.
Jörg Hafkemeyer: "Der Patriot. Der lange Weg des Egon Bahr" vorwärts buch, Berlin 2012, 155 Seiten,20 Euro, ISBN 978-3-86602-315-4
Rolf Hosfeld ist wissenschaftlicher Leiter des Potsdamer Lepsiushauses und freier Autor. 2010 erhielt er den Preis "Das politische Buch" der Friedrich-Ebert-Stiftung. Zuletzt erschien von ihm "Tucholsky. Ein deutsches Leben".