Kultur

Der Fußball zwischen Kultur, Geld und Politik

von Die Redaktion · 9. Juni 2006



Fußballspieler als Humankapital?!?



Die Handelsblatt-Redakteure Dieter Hintermeier und Udo Rettberg haben in "Geld schießt Tore" den Ball von der wirtschaftlichen Seite im Blick - und düstere Prognosen im Gepäck, was die Kommerzialisierung des Sports betrifft. Die hat spätestens mit der WM in Deutschland nach Meinung vieler Fans die Grenze des Erträglichen schon weit überschritten. Dennoch sagen Hintermaier/Rettberg eine weitere Steigerung voraus. Die von ihnen nach dem "Vorbild USA" als "Zug der Zeit" angepriesene Entwicklung sieht für Deutschlands Bundesliga etwa einen weiteren Ausbau des Pay-TV vor.

Auch vom Solidaritätsprinzip der zentralen Vermarktung, nach der derzeit die kleineren Erstligisten ähnlich große Stücke vom Kuchen der Fernsehgelder bekommen wie Branchenprimus Bayern München, müsse man sich verabschieden, schreibt das Autoren-Duo - und sieht darin nichts Negatives. Im Gegenteil: Die Chancen der großen Vereine im internationalen Wettbewerb würden dadurch gestärkt.

Von "fußballaffinen Geschäftsfeldern" ist die Rede und von Spielern als "Wertgrenzprodukt" oder "Humankapital", einst zum Unwort des Jahres gekürt. Aber auch sportlich wird sich nach Meinung der Autoren manches ändern: Überlegungen wie die Einführung von Dritteln statt Halbzeiten für mehr Werbepausen oder die Abschaffung der Abseitsregel sind im Gespräch. Bei jedem Fußballfan dürften derartige Voraussagen nichts anderes als nacktes Entsetzen hervorrufen. Ist der Vereinsanhänger von S04, VfB, HSV, BVB und Co. doch bereits dadurch geplagt, dass "sein" Stadion anstatt Westfalenstadion nun "Signal Iduna Park" heißt.

Apropos Dortmund: Seine Stärken hat "Geld schießt Tore" in der minutiösen Aufarbeitung des Finanzskandals, in folge dessen die Borussia nur durch viel Glück an der Insolvenz vorbeischlitterte. Sämtliche Fehler des damaligen Managements nehmen die beiden Autoren unter die Lupe und bereiten sie für eine breitere Öffentlichkeit verständlich auf. Ebenso werden die meisten Fans zum ersten Mal vernehmen, dass der VfB Stuttgart nach einem "balanced scorecard"-System operiert.

Negativ stößt vor allem dem mit neoliberalen Wirtschaftsformeln unvertrauten Leser auf, dass Hintermeier und Rettberg größtenteils weder kritisch noch reflektiert die Gutachten von Finanzberatungsfirmen wie "Ernst & Young" aufgenommen haben. Hier dringt das Buch, vielleicht ungewollt, zur elementaren Frage durch, die sich der Fußball in den nächsten Jahren zu stellen hat: Kann er im Zuge einer immer breiter angelegten Kommerzialisierung seine bisherigen Fans noch mitnehmen? Oder haben bei Ticketpreisen von mehr als 40 Euro und Werbeberieselung statt Service die Fans irgendwann die sprichwörtliche "Schnauze voll", wenn gleichzeitig sündhaft teure VIP-Plätze leer bleiben, weil die Besitzer lieber in den Katakomben Champagner trinken?

Es wird interessant zu beobachten sein, ob all dies zum befürchteten Knall führen wird. Auch wenn trotz der Schikanen "neue" Fans weiterhin in die Stadien der Republik strömen werden: Für die Vereine des kommerzialisierten Fußball-Europa gilt: Das "Humankapital" müssen vor allem die Fans sein - und zwar solche, denen der Fußball am Herzen liegt und nicht Aktien, Standortvorteile und Markenwert ihres Clubs. Wenn Hintermeier/Rettberg dies beteuern, mutet das wie ein Lippenbekentnisse an.

Dieter Hintermeier/Udo Rettberg: Geld schießt Tore. Fußball als globales Business - und wie wir im Spiel bleiben, Hanser Verlag München/Wien 2006, 302 Seiten, ISBN: 3-446-40411-3, 19.90 Euro.

Unter "Willy" gab's den schönsten Fußball

Preisfrage: Unter welchem Bundeskanzler spielte die Nationalelf den schönsten Fußball? Zur Regierungszeit von Willy Brandt natürlich! Anfang der 70er legte auch unser Gekicke für kurze Zeit die typisch deutsche Biederkeit ab. England wurde im Wembleystadion an die Wand gespielt. Die Ära Adenauer/Herberger ist dagegen zwar nicht gerade für schönen Fußball, aber für ein Wirtschafts- und Fußballwunder bekannt. Michael Pöppl macht in "Der springende Punkt ist der Ball" verblüffende Querverbindungen zwischen Fußball, Politik und Gesellschaft fest.

Pöppl, Autor des Berliner Stadtmagazins zitty, scheut sich in Anlehnung an das Dettmar Cramer-Zitat im Titel nicht, das runde Leder zu einem wichtigen Teil der gesellschaftlichen Entwicklung in Ost und West zu erklären. Ganz so wie Joachim C. Fest einst den 54er-Kapitän Fritz Walter zu einem der "Gründungsväter der Bundesrepublik" erkor. Pöppl weist auf die nicht nur zeitliche Nähe der Abgänge von Kanzler Kohl und Bundestrainer Vogts sowie Gerhard Schröder/Rudi Völler hin.

Für "Der springende Punkt ist der Ball", das bereits 2003 unter dem Titel "Fußball ist unser Leben" erschien, hat Michael Pöppl mit Akribie unzählige Daten und Anekdoten rund um den Fußball zusammengetragen. Das geht so weit, dass er sogar die Entwicklung der unsäglichen Liedchen untersucht, die die deutschen Kicker einst im Vorfeld der Weltmeisterschaften aufnahmen. Von "Buenos Dias, Argentina" bis zu "Wir sind schon auf dem Brenner".

Wenn Pöppl darauf abzielt, herauszustellen, wie sich auch im Fußball der Zeitgeist widerspiegelt, gelingt ihm das durchaus glaubhaft. Besonders in den frühen Jahren von Bundesrepublik und DDR dribbelt der Autor mit seinem "springenden Punkt" eng neben der Befindlichkeit der Nation.

Michael Pöppl: Der springende Punkt ist der Ball. Die Geschichte einer Leidenschaft, Aufbau-Verlag Berlin 2006, 322 Seiten, ISBN: 3-7466-8138-3., 7,95 Euro.



Horizont von Beckham bis Balzac



Nein, ein Zuschauer ist nie aus ihm geworden. Peter Esterházy ist "immer ein Spieler geblieben". Der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels hat sich auf "Deutschlandreise im Strafraum" gemacht und versucht, der deutschen Fußballseele auf den Grund zu gehen. Esterházy hat dabei das Land liebevoll aus den Augen eines Fremden erkundet.

Der ungarische Schriftsteller hebt sich schon von Herkunft wegen von vielen Schreibern ab, die nun Fußballbücher auf den Markt werfen. Nicht nur weltweit angesehener Literat ist Esterházy, sondern war selbst lange Jahre ein veritabler Torjäger. Sein Bruder war gar Nationalspieler Ungarns. So hat Esterházy einen besonders feinen Blick auf die hintergründigen Geschehnisse des Fußballs. "Mein Horizont reicht von Beckham bis Balzac", schreibt er selbstironisch.

Im Auftrag des SZ-Magazins hat Peter Esterházy im vergangenen Jahr die Plätze der Fußballprovinz bereist. Doch beim ironisch-liebevollen Blick auf Vereine wie Concordia Eschersheim und das sächsische BC Hartha dringt immer die eigene Vergangenheit als "viertklassiger Fußballer" und seine ungarische Heimat durch. Aber aus der Provinz heraus entwickelt Ersterházy einen Blick auf die Welt. Auf die Großen wie Puskás, für ihn die letzte Persönlichkeit des Fußballs, auf Beckenbauer und Cruyff, die Stars, die nach ihm kamen. Ach ja: Heidi Klum kommt auch noch vor...

Peter Esterházy: Deutschlandreise im Strafraum, Berlin Verlag 2006, 185 Seiten, ISBN 3-8270-0644-9, 12,90 Euro.

Manuel Preuten

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