Kultur

Der fiese Banker

von Matthias Dohmen · 5. Juni 2013

Die Story ist schnell erzählt: Der Investmentbanker Bernhardt Milbrandt, designierter und gefühlter Nachfolger des Chefs der Berliner Privatbank Alberts & Co., Johann Alberts, verzockt Millionen und setzt sich anschließend mit einem größeren Geldbetrag nach Gibraltar ab. Aus der Perspektive von sechs Personen wird die Geschichte rekapituliert. Zwei fiktive Zeitungsartikel, jeweils vor dem ersten und nach dem letzten Kapitel, bilden eine Art Klammer. So weit, so übersichtlich.

Ehepartner treffen sich zum blind date

Sprachlich und vom Spannungsbogen her lässt der Roman zu wünschen übrig. Zahlreiche Zusammenhänge sind nur zu bewältigen, indem sich Zufall an Zufall reiht: Der Sohn des Bankiers ist als Psychotherapeut tätig, der von unterwegs seine Klienten per Handy betreut. Eine seiner Klientinnen ist die Frau des Bankrotteurs. Ein Ehepaar, das sich über das Internet mit jeweiligem Unbekannten zu einem blind date verabredet, trifft im Hotelzimmer aufeinander. Und die Tochter des Spekulanten ist eine frühere Kundin des Therapeuten.

Die Finanzwelt hält der Autor des Buches offenbar für in Ordnung – wären da nicht „raffgierige Soziopathen, die durch skrupellose Termingeschäfte den Reispreis am Geldmarkt künstlich in die Höhe trieben“. „Der Kurs stieg und stieg, er sah den Chart auf Bloomberg, es war beängstigend: ab hier nur noch Verlust. Minütlich, sekündlich höherer Verlust für die Bank. Bernhard saß im Zentrum dieses Sturms. Niemand sah ihn an. Wenn alles vorbei ist, dachte er, werden sie dich pfählen. Würden. Wenn sie könnten.“

„Alles Wollen und Streben ist unnütz“

Sascha Reh legt mit „Gibraltar“ seinen zweiten Roman vor. Der 1974 geborene Autor studierte Geschichte, Philosophie und Germanistik in Bochum und Wien, erhielt zweimal den Literaturförderpreis Ruhr und 2011 den Niederrheinischen Literaturpreis. Ihm hielt ein Rezensent des ersten Romans, „Falscher Frühling“, zugute, „handwerklich perfekt“ zu arbeiten.

Für den zweiten Anlauf, „Gibraltar“, trifft dies nicht zu, auch weil sachlich zu vieles unlogisch erscheint. Wieso leiht sich ein Mann, der es brandeilig hat, um zu seinem Ziel zu kommen, und der nun wahrlich nicht an Geldmangel leidet, am Bahnhof ein Fahrrad, statt sich ein Taxi zu nehmen? Und welcher Hund verharrt aus eigenem Antrieb an einer Fußgängerampel, die gerade auf Rot umspringt? Dazu passen Allerweltsfloskeln, die nur scheinbar gedanklichen Tiefgang anzeigen: „...alles Wollen und Streben war unnütz, war es immer schon gewesen.“

Reh und sein Verlag haben wohl darauf vertraut, mit einem Thema aus der Bankenkrise Interesse an einem Roman hervorzurufen, der, wie es im Klappentext heißt, „mit erzählerischer Leidenschaft und Präzision Fragen nach Schuld und Verantwortung für unser vergangenes und künftiges Leben“ stellen soll.

Sascha Reh: „Gibraltar. Roman“. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2013, 461 Seiten, 22,95 Euro. ISBN 978-3-89561-086-8

Autor*in
Matthias Dohmen

Matthias Dohmen hat Germanistik, Geschichte, Politologie und Philosophie studiert, arbeitet als freier Journalist und ist 2015 mit einer Arbeit über die Rolle der Historiker West und Ost im "deutschen Geschichtskrieg" promoviert worden.

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