Kultur

Der Eurovisions-Frieden in Baku ist vorbei - Blogger Mehman Huseynov verhaftet (Update)

von Martin Schmidtner · 14. Juni 2012

Eigentlich sollte hier eine Bilanz des diesjährigen Song Contests erscheinen, gerade im Blick auf die Menschenrechtssituation - doch die aktuellen Ereignisse in Aserbaidschan zeigen, dass es dafür noch viel zu früh ist:

Normalerweise schreiben wir nach einem Song Contests natürlich immer eine Nachbetrachtung, eine Bilanz und berichten über veröffentlichte Wertungen oder Chartplatzierungen.

Doch während sich die meisten Fernsehanstalten mit der Veröffentlichung ihrer Wertungen noch bedeckt halten und alle, die Radio hören, inzwischen mitbekommen haben, dass die diesjährige ESC-Siegerin Loreen aus Schweden seit ABBA 1974 die erste ist, die es als ausländische ESC-Gewinnerin auf Platz 1 der offiziellen deutschen Charts geschafft hat, sind wir noch von einer gewissen Lähmung befallen. Sehr schwer erschien es in den vergangenen beiden Wochen, zu einer Bilanz des Song Contests zu gelangen.

Wie vielen anderen ging es auch uns so, dass wir während der zwei Wochen in Baku ein Wechselbad der Gefühle erlebten – über vieles davon hatten wir ja berichtet: sowohl über die Herzlichkeit, Gastfreundschaft und Offenheit vieler Aserbaidschaner aber auch über die aufgelösten Demonstrationen und das harsche Auftreten der aserbaidschanischen Staatssicherheit während der Finalshow des ESCs in der Crystal Hall. Wir waren einerseits völlig unvorbereitet auf das Zugehörigkeitsgefühl der Aseris zu Europa und zum „Westen“ gewesen, andererseits erlebten wir auch Nationalismus pur in dem sich mit seinem Nachbarn Armenien im Krieg befindlichen Land.

Wirklich ins Herz geschlossen hatten wir all die Menschen, die wir persönlich kennenlernen durften und vor allem die Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung Sing for Democracy.

Viele von ihnen hatten während des Song Contests immer wieder betont, wir sollen uns von der Zurückhaltung der Sicherheitskräfte während der Demonstrationen nicht blenden lassen; der Knüppel sei nur der ausländischen Presse wegen weggesteckt geblieben, nach dem Song Contest würde die Regierung dafür wieder umso rigider gegen die Opposition vorgehen. - Weggesteckte Knüppel?! Richtig – körperliche Gewalt und Übergriffe konnten wir bei jener Demonstration, die wir selbst miterlebt hatten, persönlich nicht dokumentieren – inzwischen wissen wir, dass sie dennoch stattfanden, allerdings erst später, als wir nicht mehr vor Ort waren, -  aber auch schon  die Art und Weise, wie wenige völlig friedfertige Demonstrantinnen und Demonstranten in Autos verfrachtet und stundenlang in einem Keller eingeschlossen oder einfach aufs Land gefahren wurden, ließ durchaus erahnen, wie sie sonst gegen Oppositionelle vorzugehen pflegen.

Und auch die Schikanen, die ein norwegisches Fernsehteam bei der Ausreise aus Baku erlebte, lieferten einen deutlichen Hinweis darauf, dass die aserbaidschanische Regierung die als Demütigung empfundene Bloßstellung vor der europäischen Öffentlichkeit nicht einfach so hinnehmen würde.

Bereits zum Ende des Song Contests waren dazu wüste antieuropäische Schimpftiraden des aserbaidschanischen Regierungssprechers zu hören.
Die Nachrichten, es seien mehrere Terroranschläge gegen den ESC vereitelt worden, lösten  kaum Reaktionen aus – zu ungewiss erscheint der Hintergrund und tiefergehende Nachrichten waren in den vergangenen zwei Wochen dazu nicht mehr zu vernehmen.

Doch nach dem Song Contest stand ja noch ein weiteres „Großereignis“ auf der politischen Agenda Aserbaidschans: der Kaukasusbesuch der US-Außenministerin Hillary Clinton Anfang Juni. Natürlich wollte man in Baku da nach wie vor im rechten Licht erscheinen – immerhin sollte es laut aserbaidschanischen Medien bei den Gesprächen möglicherweise auch um die Aufrüstung des aserbaidschanischen Geheimdienstes gehen, da die USA und Israel das Land als Verbündeten für einen möglichen Krieg gegen den Iran schätzen.
Und so schaffte es Clinton denn auch, was dem Song Contest nicht gelungen war – kurz vor dem Besuch der Außenministerin wurde der Aktivist und politische Gefangene  Bakhtiyar Hajiyev aus der Haft entlassen – dafür gab es natürlich Lob der US-Außenministerin.

Doch sie ist nun weg und anscheinend gehen die Repressalien gegen die Opposition nun in eine neue Runde.
Zum Hintergrund: völlig verboten und unterdrückt ist die Opposition in Aserbaidschan keineswegs. Das Internet ist frei zugänglich und unzensiert – und mittlerweile das Medium der Opposition. Es gibt sehr wohl auch unabhängige Medien, sowohl Fernsehsender als auch Printmedien. Sie werden nicht einfach so verboten, die Repressionen sind vielmehr subtilerer Natur. Zwar hörten wir immer wieder, dass eh kein Aseri mehr dem Staatsfernsehen trauen und es ansehen würde, doch die unabhängigen Medien leiden unter Geldnot. Kaum ein Unternehmen kann es wagen, Werbung oder Anzeigen bei der unabhängigen Presse zu schalten und es gibt darüber hinaus viele Wege, ein unliebsames Medium in den Konkurs zu treiben oder eine NGO-Bürgerrechtsgruppe aus ihren Räumlichkeiten.

Nur wenn die subtilen Mittel nicht greifen, kommen Erpressung, Denunziation und Einschüchterung hinzu, wie wir bereits am Fall der Journalistin Khadija Ismayilova berichteten.
Die politische Gefangenschaft ist in Aserbaidschan nicht die zwangsläufige Regel, im Vergleich zu anderen undemokratischen Staaten zahlenmäßig gering, aber egal, ob es sich nun um 8 oder 80 politische Gefangene handelt: es trifft Unschuldige wegen haarsträubender und haltloser Vorwürfe.

Viele unabhängige Journalistinnen und Journalisten sammeln sich in Baku unter dem Dach des IRFS (Institut für die Freiheit und Sicherheit von Reportern), das sich zum Ziel gesetzt hat, Verletzungen der Presse- und Meinungsfreiheit in Aserbaidschan zu dokumentieren.

Am gestrigen Abend erreichte uns eine Mitteilung des IRFS über die Verhaftung und Anklage von Mehman Huseynov. Der 23jährige Blogger und Fotograf arbeitet für das IRFS und war maßgeblich an der Kampagne Sing for Democracy beteiligt. Er ist der Bruder von Emin Huseynov, dem Direktor des IRFS, der selbst im Jahre 2008 Opfer polizeilicher Misshandlung wurde und seitdem als arbeitsunfähig anerkannt ist.

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Mehman Huseynov war als Fotograf auch bei einer Protestaktion der Kampagne am 21.5. in Baku, um die Demonstration zu dokumentieren, jene Demonstration, die auch wir teilweise miterlebten. Doch seine Schilderung der Vorfälle an diesem Tag ging weit über das hinaus, was wir selbst miterlebt hatten:

„Über die Protestaktion existiert vollständiges Filmmaterial, das eindeutig zeigt, wie Polizei und Agenten der Spezialabteilung der Polizei in Zivil sich aggressiv zu den Protestierenden verhielten und sie beleidigten; außerdem wie sie gewaltsam die professionelle Arbeit von Journalisten und Fotoreportern behinderten. Während des Protestes wurden sowohl  die Fotoapparate und die Videokameras von mir als auch von anderen IRFS-Reportern zerstört. Die Beamtentaten alles ihnen mögliche, um die technische Ausrüstung von Medienvertretern zu zerstören."

 

Die aserbaidschanische Justiz sieht dies allerdings anders. Sie hat den Journalisten wegen der Vorfälle bei dieser Demonstration nach Artikel 221.1 des aserbaidschanischen Strafrechts angeklagt: ‚Rowdytum‘. Dafür droht ihm bei einer Verurteilung Haft – von einem Jahr ist in einer Presseerklärung zur Verhaftung die Rede, in einer anderen werden 5 Jahre Haft als mögliche Strafe genannt. Er soll einen Beamten beleidigt haben.

Doch das IRFS und Emin Huseynov sehen in der Verhaftung die gezielte Rache höherer Regierungsstellen für die Arbeit, die Mehman Huseynov und das IRFS für die Demokratisierung in Aserbaidschan leisten:

„Unsere Aktivitäten auf lokaler und internationaler Ebene in den Bereichen Redefreiheit und Menschenrechte haben die Regierung erzürnt; das ist die Ursache des Drucks, der auf uns und unsere Korrespondenten ausgeübt wird“, kommentiert Emin Huseynov die Anklage.

Laut einer Mitteilung auf der Homepage des IRFS suchte die Polizei Mehman Huseynov bereits am 6. Juni in seiner Wohnung auf und bestellte ihn ohne Angabe von Gründen für den 9. Juni zu einer Vernehmung.  

Nach einer weiteren IRFS- Mitteilung  wurde er schließlich am gestrigen Abend gegen 21 Uhr Ortszeit nach einem dreistündigen Verhör in eine 48-stündige Verwahrung genommen. Innerhalb dieser 48 Stunden muss Anklage gegen ihn erhoben werden.

Das IRFS wendet sich mit dieser auf Emin Huseynovs Facebook-Profil veröffentlichten Mitteilung an die lokale und internationale Öffentlichkeit. Unter der Überschrift „urgent action needed“ verurteilt es die „ungesetzliche Festnahme“ ihres Reporters und bittet dringend die „lokale und internationale Gemeinschaft um sofortigen Aktionen, um Mehman vor einer ungerechten längeren  Gefängnisstrafe zu bewahren.“

Wir selbst haben Mehman Huseynov während der Sing for Democracy-Party am 20. Mai erlebt – auch dort war er den ganzen Abend am Filmen; die Freude über die Kampagne stand ihm den ganzen Abend im Gesicht geschrieben.
Sein youtube-Kanal gilt als wichtige Quelle und Dokumentation der aserbaidschanischen Opposition. Sein Video vom Abriss der Wohnhäuser in der Nähe der Crystal Hall wurde zu einem Auslöser des internationalen Protestes gegen den Song Contest und der NDR stellte ihn im Rahmen des Magazins Zapp am 23.5. vor. (Link zum Beitrag)
Außerdem war er 2010 Preisträger eines Fotowettbewerbs zum Thema Demokratie des US-Außenministeriums.

Auf der Facebook-Site Mehmans treffen inzwischen  immer mehr Solidaritätsbekundungen ein.

Wir hoffen aber darüber hinaus, dass das US-Außenministerium und Ministerin Clinton sich an ‚ihren‘ Preisträger erinnern und für seine sofortige Freilassung eintreten.

Und wir erinnern an das Versprechen der ARD an die aserbaidschanische Opposition, das Anke Engelke formuliert hatte: „Europe is watching you“.

Denn das ist das Einzige, was wir für unsere Freunde in Aserbaidschan tun können: sie nach dem Song Contest nicht zu vergessen und sie weiter in ihrem Kampf für mehr Demokratie zu unterstützen.
In diesem Sinne ist der Song Contest nicht vorbei, auch wenn die großen Tageszeitungen inzwischen wieder andere Themen auf der Titelseite haben – und für uns ist es für eine Bilanz des ESC deshalb noch viel zu früh!

 

Auf seinm Facebook-Profil verabschiedete der Journalist und Blogger sich heute vor seinem Gang zur Polizei mit diesem Bild:

 

Update (13.6., 22 Uhr)
Mehman Huseynov wurde am späten Abend Bakuer Zeit aus der Haft entlassen, Darüber freuen wir uns sehr, wenngleich nach Informationen auf seiner Facebook-Site die Vorwürfe damit nicht aus der Welt sind und er eine Verpflichtung unterschreiben musste, Baku nicht zu verlassen - aber das dürfte er sowieso nicht vorhaben.
Seinen Humor hat er nicht verloren, wie ein aktuelles Foto auf seiner Homepage zeigt.
Sein Fall hatte im Laufe des Tages eine breite Solidaritätswelle ausgelöst, nicht nur in Aserbaidschan, sondern auch im Ausland. Diese Solidarität wird natürlich noch lange nötig sein.
 

 


Video der Freilassung Huseynovs

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Autor*in
Martin Schmidtner

ist Blogger für kulturelle Events.

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