Bertolt Brecht starb am 14.08.1956 in Berlin. Ihm zu Ehren inszeniert Klaus-Maria Brandauer am Berliner Ensemble "Die drei Groschenoper" mit prominenter Besetzung. In den Feuilletons werden
Brechts Werke gerühmt und seine Verdienste um die Schöpfung des "epischen Theaters" stilisiert. Seine politische Orientierung wird kritisch erwähnt und sein turbulentes Privatleben wird
detektivisch beleuchtet. Mittlerweile sind diese Fakten Bestandteil der Allgemeinbildung. Weniger bekannt, dafür von hoher Aktualität ist seine "Radiotheorie". In Zeiten der "Podcast-Revolution" im
Internet ergibt sich so die Möglichkeit, Bertolt Brecht von einer anderen Seite zu betrachten.
Brechts skeptische Beurteilung des Mitte der 20er Jahre eingeführten Radios
veranlasste ihn, über eine sinnvollere Verwendung der damals technisch
innovativsten Erfindung seit Einführung des Buchdrucks zu spekulieren. In
seinen Augen gab es kein gesellschaftliches Interesse an einem neuen
Massenmedium für bereits vorhandene Inhalte.
"Ein Mann, der was zu sagen hat und keine Zuhörer findet, ist schlimm dran."
Noch schlimmer allerdings seien Zuhörer dran, die keinen finden der ihnen
etwas zu sagen hat, kommentierte Brecht ironisch die Einführung des Hörfunks.
Großartigster Kommunikationsapparat
Sein Vorschlag sah das Radio nicht als ein einseitig sendendes Medium,
sondern als ein Kommunikationsapparat. Alle Hörer sollten die Chance haben,
sich ebenfalls zu Themen zu äußern. Dann wäre der Rundfunk "der denkbar
großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens." Dieser
Vorschlag schien über Jahrzehnte nur eine theoretische Vision zu sein. In der
existierenden Medienwelt, in der es von Anfang an um Auflage und
Einschaltquote ging, hatte eine allgemeinnützige Idee keine Chance.
Auf wissenschaftlicher Ebene erlebte die Radiotheorie eine kurzzeitig
Renaissance in den 70er Jahren. Hans Magnus Enzensberger nutzte Brechts
Ideen als Grundlage für seinen emanzipatorischen Medienbaukasten.
In den 1990er Jahren setzte der Siegeszug der digitalen Medien ein. Vom
heimischen Schreibtisch aus konnte man sich von nun an weltweit in
Diskussionen einbringen. Von der selbstgestalteten Familienseite bis zum
Spartenforum waren die Partizipationsmöglichkeiten unbegrenzt.
Blogs, Wikis und Podcasts
Einen weiteren Evolutionsschritt setzte die Einführung des WEB 2.0. Dieser aus
dem Netz stammende Begriff umfaßte weniger die neuesten technischen
Entwicklungen, als vielmehr die kollektive Erkenntnis der Internetgemeinschaft.
Die Chance, Privates öffentlich zu machen, hat erstmals die technische
Voraussetzung gefunden und Nutzer haben die Möglichkeit, ihre Gedanken zu
allen erdenkliche Themen zu äußern.
Die Zauberworte dieser Bewegung sind Blog, Wiki oder Podcast.
Podcast sind kurze selbsterstellte Hörbeiträge, die vom Tagebuchcharakter bis
zur professionellen Kommentierung weltpolitischer Ereignisse reichen.
Angeboten werden diese Wortbeiträge auf sogenannten Blogs, persönliche
Internetseiten, die es ermöglichen minütlich allen alles mitzuteilen und durch
direkte Verlinkung im Text die Quellen des Wortbeitrags offen zu legen.
Auch Portale, wie youtube.com haben ausschließlich Videos von Amateuren auf
ihren Seiten. Der explosionsartige Erfolg dieser Angebote macht klar, dass der
Leser-Hörer-Zuschauer etwas mitzuteilen hat. Das nicht jeder Produzent mit
seinen Podcasts berühmt wird, versteht sich von selbst. Aber die Chance
öffentlich an Diskussionen teilzunehmen und seine Meinung darzustellen ist
nunmehr gegeben.
Was jahrzehntelang in kleinen alternativen Kreisen diskutiert wurde, ist durch
die digitale Revolution im Internet möglich geworden. Auch wenn Bertolt Brecht
keine abgeschlossene Theorie zum Thema Partizipation in den Massenmedien
vorgelegt hat, so erweisen sich seine fragmentarischen Äußerungen im
Nachhinein als visionär.
Sebastian Henneke
Foto: Cover des Buches "O Chicago! O Widerspruch!" Hundert Gedichte auf
Brecht. Transit Verlag. 2006.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.